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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Frühstück weiterzumachen oder alles wieder wegzuräumen; auf halbem Wege spülte eine Woge von Schwäche über ihn hinweg, graue Schleier trieben vor seinen Augen. Er sank zu Boden, und das scheint eine Ewigkeit zu dauern; er stürzte tiefer und tiefer in wolkige Tiefen, und ihm war, als drehte er sich um sich selbst, vollführte einen Looping, beschrieb ein oder zwei Achten, flog einen Immelmann-Turn. Dann prallte er auf sein verletztes Knie, und der stählerne Pfeil des Schmerzes, der ihn durchfuhr, brachte ihn wieder zu sich. Einen Augenblick war er unfähig, sich zu bewegen, und aus seinen Augen strömten Tränen. Endlich gelang es ihm, wieder auf die Beine zu kommen; er stand da und schwankte. Aber sein Kopf war wieder klar. Da war doch etwas gewesen, oder?
    Ein letztes Mal überkam ihn der Drang, die Flucht zu ergreifen, stärker als je zuvor -- er ertastete sogar die tröstliche Wölbung der Wagenschlüssel in seiner Tasche. Er würde in den Honda steigen und nach Chicago fahren.
    Er würde Ellie holen und dann weiterfahren. Die Goldmans wüßten dann natürlich schon, daß etwas nicht stimmte, daß etwas entsetzlich schiefgegangen war, aber er würde sie trotzdem mitnehmen. Er würde sie entführen, wenn es sein mußte.
    Dann fiel seine Hand von der Wölbung der Schlüssel herunter. Was ihn den Drang vergessen ließ, war nicht ein Gefühl der Leere oder des Selbstbewußtseins, weder Verzweiflung noch seelische Erschöpfung. Es war der Anblick der schlammigen Fußspuren auf dem Küchenfußboden. Vor seinem inneren Auge sah er, wie sie durchs ganze Land fuhren -- zuerst nach Illinois, dann nach Florida --, wenn nötig, durch die ganze Welt. Was man sich einhandelte, das gehörte einem, und was einem gehörte, kam früher oder später zu einem zurück.
    Der Tag würde kommen, an dem er eine Tür öffnete, und Gage stünde vor ihm, eine Wahnsinnsparodie seines früheren Selbst, ein eingesunkenes Grinsen um die Lippen, die einst klaren, blauen Augen gelb, verschlagen und hirnlos. Oder Ellie ging ins Badezimmer, um zu duschen, und Gage säße in der Wanne, die verblassenden Narben und Wülste seines tödlichen Unfalls am ganzen Körper, sauber, aber nach dem Grab stinkend.
    Ja, dieser Tag würde kommen -- daran war nicht im mindesten zu zweifeln.
    »Wie konnte ich nur so blöd sein«, sagte er laut zu dem leeren Raum; er sprach wieder mit sich selbst, aber es kümmerte ihn nicht. »Wie konnte ich nur?«
    Es war Kummer, nicht Blödheit, Louis. Das ist ein Unterschied -- klein, aber entscheidend. Die Batterie, die diesen Begräbnisplatz mit Energie versorgt. Seine Macht wächst, hatte Jud gesagt, und das stimmte natürlich -- und jetzt bist du ein Teil dieser Macht. Sie hat sich an unserem Kummer gemästet -- mehr noch, sie hat ihn verdoppelt, in die dritte, in die x-te Potenz erhoben. Und sie mästet sich nicht nur am Kummer. Sie hat auch deinen gesunden Verstand aufgezehrt. Das Versagen besteht nur in der Unfähigkeit, zu akzeptieren -- nichts Ungewöhnliches. Es hat dich deine Frau gekostet, und höchstwahrscheinlich hat es dich auch deinen besten Freund gekostet und deinen Sohn. So liegen die Dinge. Was daraus wird, wenn man das Ding, das um Mittemacht an der Tür klopft, zu langsam von sich weist, liegt auf der Hand: totale Dunkelheit.
    Ich könnte jetzt Selbstmord begehen, dachte er, und wahrscheinlich steht es in den Karten geschrieben. Alles Erforderliche ist in meiner Tasche. Es hat alles manipuliert, von Anfang an. Der Begräbnisplatz, der Wendigo oder was auch immer. Es hat unseren Kater auf die Straße gezwungen, und vielleicht hat es auch Gage auf die Straße gezwungen, es hat Rachel heimgebracht, aber erst, als es ihm paßte. Und nun soll ich mir das Leben nehmen -- und ich möchte es.
    Aber erst muß Ordnung geschaffen werden, oder?
    Ja, er mußte Ordnung schaffen.
    Er mußte an Gage denken. Gage war da draußen. Irgendwo.
     
     
    Er folge den Fußspuren durchs Eßzimmer und durchs Wohnzimmer und die Treppe hinauf. Hier waren sie verschmiert, weil er auf seinem Weg nach unten darübergelaufen war, ohne sie zu sehen. Sie führten ins Schlafzimmer. Er war hier, dachte Louis fassungslos, er war in diesem Zimmer, und dann sah er, daß seine Arzttasche offenstand.
    Ihr Inhalt, den er immer sorgfältig und methodisch geordnet hatte, war jetzt ein heilloses Durcheinander. Trotzdem stellte Louis bald fest, daß sein Skalpell fehlte, und er schlug die Hände übers Gesicht und blieb eine Weile so sitzen; aus

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