Friedhof der Kuscheltiere
Stanny B. Er hat mich total vergessen, dieser blöde Franzose, dachte ich und wollte mich gerade wieder ausziehen, als zwei Kieselsteine ans Fenster prallten; es fehlte nicht viel, daß sie die Scheiben zerschlagen hätten. Einer von ihnen machte einen Sprung in die Scheibe, aber ich merkte es erst am nächsten Morgen, und meine Mutter entdeckte ihn erst im Winter und dachte, der Frost hätte die Scheibe springen lassen.
Ich flog geradezu ans Fenster und schob es hoch. Es knarrte und rumpelte im Rahmen, wie Fenster das nur tun, wenn man ein Kind ist und sich nach Mitternacht hinausschleichen will...«
Louis lachte, obwohl er sich nicht erinnern konnte, als zehnjähriger Junge jemals die Absicht gehabt zu haben, sich zu irgendeiner Nachtstunde aus dem Haus zu schleichen. Trotzdem -- wenn er es gewollt hätte, dann hätten Fenster, die tagsüber wie geölt liefen, bestimmt geknarrt.
»Ich fürchtete schon, daß meine Eltern glaubten, es wären Einbrecher im Haus, aber als sich mein Herz wieder beruhigt hatte, hörte ich meinen Vater nach wie vor im Schlafzimmer im Erdgeschoß Holz sägen. Ich schaute hinaus, und da stand Stanny B. auf unserer Auffahrt und sah zu mir herauf; er schwankte wie in einem Orkan, dabei wehte nicht einmal eine leichte Brise. Ich glaube nicht, daß er gekommen wäre, Louis, wenn er nicht jenes Stadium der Trunkenheit erreicht gehabt hätte, in dem man so hellwach ist wie eine Eule mit Durchfall und in dem man nicht einmal den Teufel fürchtet. Und dann röhrt er zu mir herauf -- wahrscheinlich glaubte er zu flüstern -- ›Was ist nun, Junge? Kommst du, oder muß ich dich holen?‹
›Pst!‹ sagte ich; ich hatte eine Heidenangst, daß mein Dad aufwachen und mir die Seele aus dem Leib prügeln würde. ›Was hast du gesagt?‹ röhrt Stanny noch lauter als zuvor. Wenn meine Eltern zur Straße hin geschlafen hätten, Louis, wäre es um mich geschehen gewesen. Aber sie hatten das Schlafzimmer, das Norma und ich jetzt benutzen, nach hinten zum Fluß hinaus.«
»Ich kann mir vorstellen, wie Sie die Treppe hinuntergefegt sind«, sagte Louis. »Haben Sie noch ein Bier für mich, Jud?« Er war bereits zwei über sein normales Quantum hinaus, aber heute abend schien das keine Rolle zu spielen. Heute abend schien das fast obligatorisch.
»Das habe ich, und Sie wissen, wo Sie es finden«, sagte Jud und zündete sich eine neue Zigarette an. Dann wartete er, bis Louis wieder saß. »Nein, auf die Treppe hätte ich mich nicht gewagt. Die führte am Schlafzimmer meiner Eltern vorbei. Ich kletterte am Efeuspalier herunter, Hand über Hand, so schnell ich konnte. Ich war fast verrückt vor Angst, aber ich glaube, ich hatte mehr Angst vor meinem Vater, als davor, mit Stanny B. zum Tierfriedhof hinaufzugehen.«
Er drückte seine Zigarette aus.
»Wir gingen hinauf, wir beide, und ich glaube, Stanny B. ist dabei mindestens ein halbdutzendmal auf die Nase gefallen. Er war ganz schön voll und roch, als wäre er in ein Schnapsfaß gefallen. Einmal hätte sich fast ein Zweig in seine Kehle gebohrt. Aber er hatte eine Hacke und eine Schaufel bei sich. Als wir am Tierfriedhof angekommen waren, erwartete ich halbwegs, er würde mir Hacke und Schaufel in die Hand drücken und wegtreten, während ich das Grab aushob.
Stattdessen schien er ein wenig nüchterner zu werden. Er sagte, wir müßten weiter, über das Totholz und tiefer in die Wälder, da wäre noch ein zweiter Begräbnisplatz. Ich sah Stanny an, der so besoffen war, daß er sich kaum auf den Beinen halten konnte, und dann sah ich mir das Totholz an und sagte, ›Da können Sie nicht drüberklettern, Stanny B. Sie brechen sich den Hals.‹
Und er sagte, ›Ich brech mir den Hals nicht, und du auch nicht. Ich kann laufen, und du kannst deinen Hund tragen.‹ Und es stimmte. Er segelte aalglatt über das Totholz hinweg, ohne auch nur ein einziges Mal nach unten zu schauen, und ich schleppte meinen Hund dort hinauf, obwohl er an die fünfunddreißig Pfund gewogen haben muß, und ich selbst damals nur ungefähr neunzig. Ich kann Ihnen sagen, am nächsten Tag taten mir alle Knochen einzeln weh. Wie fühlen Sie sich heute?«
Louis antwortete nicht, er nickte nur.
»Wir gingen und gingen«, sagte Jud. »Mir war, als nähme der Weg nie ein Ende. Die Wälder waren unheimlicher damals. In den Bäumen zwitscherten mehr Vögel, und man wußte nicht, was für welche. Tiere bewegten sich, Rotwild wahrscheinlich, aber damals gab es auch Elche und Bären und Pumas.
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