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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sehen zu können; dennoch war er nicht darauf erpicht, in sein dunkles, leeres Haus zurückzukehren, in dem der Kater -- machen wir uns nichts vor -- überall sein konnte, wo man ihn nicht vermutete.
    Norma saß eine Weile bei ihnen, sah fern und stickte an einem Kissenbezug, auf dem die Sonne hinter einer kleinen Dorfkirche unterging. Das Kreuz auf dem Firstbalken stand schwarz vor der untergehenden Sonne. Etwas, das man beim Kirchenbasar in der Woche vor Weihnachten verkaufen konnte. Das war immer ein großes Ereignis. Ihre Finger bewegten sich recht gut, schoben die Nadel durch den Stoff, zogen sie von der Unterseite des Stickrahmens wieder herauf. Ihre Arthritis war ihr heute kaum anzumerken. Vielleicht lag es am Wetter, dachte Louis, das kalt, aber sehr trocken war. Sie hatte sich gut von ihrem Herzanfall erholt; und an diesem Abend, kaum zehn Wochen vor ihrem Tod durch einen Gehirnschlag, fand er, daß sie weniger mitgenommen und regelrecht jünger aussah. An diesem Abend konnte er sich das Mädchen vorstellen, das sie einmal gewesen war.
    Viertel vor zehn hatte sie »Gute Nacht« gesagt, und nun saß er hier mit Jud, der verstummt war und nur zuzusehen schien, wie sein Zigarettenrauch in der stillen Luft auf- und abwogte.
    »Stanny B.«, erinnerte Louis ihn leise.
    Jud blinzelte und schien wieder zu sich selbst zurückzufinden. »Ach ja«, sagte er. »Alle Leute in Ludlow -- und wahrscheinlich auch in der Umgebung von Bucksport und Prospekt und Orrington -- nannten ihn nur Stanny B. Damals, als mein Hund Spot starb -- 1910 meine ich, als er zum ersten Mal starb --, war Stanny schon ein alter Mann und mehr als nur ein bißchen verrückt. Es gab noch andere Leute hier in der Gegend, die den alten Begräbnisplatz der Micmac kannten. Aber ich erfuhr durch Stanny B. davon, und er wußte es von seinem Vater und seinem Großvater. Das war vielleicht eine Familie -- Frankokanadier, wie sie im Buche stehen.«
    Jud lachte und trank einen Schluck Bier.
    »Ich höre ihn heute noch in seinem gebrochenen Englisch reden. Er fand mich hinter dem Mietstall, der früher an der Route 15 stand -- damals war es einfach die Straße von Bangor nach Bucksport --, ungefähr dort, wo heute die Orinco-Fabrik steht. Spot war nicht tot, aber er starb, und mein Vater hatte mich weggeschickt, Hühnerfutter holen, das damals der alte Yorky verkaufte. Wir brauchten so wenig Hühnerfutter, wie eine Kuh eine Schultafel braucht, aber ich wußte, warum er mich dorthin geschickt hatte.«
    »Er wollte den Hund töten?«
    »Er wußte, wie ich an Spot hing, und deshalb schickte er mich fort, damit er es tun konnte. Ich kümmerte mich um das Hühnerfutter, und während der alte Yorky es für mich zurechtmachte, ging ich hinters Haus, setzte mich auf den alten Mühlstein, der früher dort war, und heulte.«
    Immer noch ein wenig lächelnd, schüttelte Jud langsam und sanft den Kopf.
    »Und da kam Stanny B. vorbei«, sagte er. »Die Hälfte der Leute in der Stadt hielt ihn für einen Spinner, die andere Hälfte meinte, er könnte gefährlich werden. Sein Großvater war ein großer Pelzjäger und -händler, in den Jahren nach 1800. Stannys Großvater fuhr damals die ganze Strecke von Maritimes bis nach Bangor und Derry, manchmal sogar noch weiter südlich bis Skowhegan, um Felle zu kaufen, jedenfalls erzählte man sich das. Er fuhr einen großen Planwagen, der mit Streifen von ungegerbten Fellen bezogen und überall mit Kreuzen bemalt war, denn er war ein guter Christ und predigte, wenn er betrunken genug war, über die Auferstehung -- jedenfalls erzählte das Stanny B.; er redete gern über seinen Großvater. Der Wagen war aber auch mit indianischen Zeichen bemalt, weil er glaubte, alle Indianer, einerlei, zu welchem Stamm sie gehörten, wären Angehörige eines großen Stammes -- des verlorenen Stammes Israel, von dem in der Bibel die Rede ist. Er glaubte fest daran, daß alle Indianer in die Hölle kämen, aber ihre Magie wirkte trotzdem, weil sie auf irgendeine merkwürdige, verdammte Art trotzdem Christen wären.
    Stannys Großvater kaufte von den Micmac und machte auch dann noch gute Geschäfte mit ihnen, als die meisten anderen Jäger und Händler schon nach Westen gezogen waren, weil er sie anständig bezahlte. Außerdem kannte er, wie Stanny sagte, die ganze Bibel auswendig, und die Micmac liebten es, die Worte zu hören, die sie in den Jahren, bevor die Soldaten und die Holzfäller kamen, von den Schwarzröcken gehört hatten.«
    Er verstummte.

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