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Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Titel: Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Miller
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einen Happen essen? Vielleicht ein paar Scheiben von dem Kalbskopf?« Er holt ihn aus dem Fliegenschrank an der Wand, hält ihn beinahe zärtlich. Den armen, zersäbelten Kopf.

13
     
    AUCH IN PARIS liegt Schnee. Mit Asche, Ruß, Schlamm, Tierkot vermischter Schnee. In den besseren Straßen, vor den besseren Häusern, ist er zu grauen Pyramiden zusammengeschoben worden. Anderswo haben sich Karrenräder, Hufe, Holzschuhe selbst einen Pfad gebahnt. Auf dem Friedhof liegt der Schnee auf dem Querbalken des Predigerkreuzes, ziert dezent die Hauben der lanternes des morts , säumt die Mauerkronen, die schrägen Dächer der Beinhäuser.
    Mit einem Spaten, den er sich aus dem Haus des Küsters geborgt hat, stochert Jean-Baptiste im Boden, spürt dessen Widerstand, hört es, das dumpfe Klirren, als wäre er auf Eisen gestoßen. Wenigstens ist der Gestank längst nicht mehr so schlimm. Jean-Baptiste verspürt keine Übelkeit. Keinen ausgeprägten Ekel.
    Aus der Kirche kommt Armand, zieht unter dem niedrigen Türstock den Kopf ein und durchquert dann den Friedhof, sein Haar wie der einzige Fleck lebhafter Farbe, der auf der Welt noch übrig ist.
    »Wie ich sehe«, sagt er und deutet mit dem Kinn auf den Spaten, »bleiben Sie Ihrem Namen treu, Monsieur Bêche.«
    »Bei einem solchen Boden«, sagt Jean-Baptiste, »täte ich mich mit einer Axt leichter.«
    »Sie wissen, dass er monatelang gefroren bleiben kann«, sagt Armand fröhlich.
    »Das wird er nicht.«
    »Weil der Minister es nicht erlaubt? Na schön. Aber ich glaube nicht, dass Sie bis Weihnachten irgendwelche Gebeine ausgraben. Sie sollten nach Hause fahren. Sich klarmachen, wer Sie sind.«
    Jean-Baptiste nickt, stößt mehrmals den Spaten auf dem Boden um seine Fußspitzen auf. Nach Hause. Nichts täte er lieber. Er sehnt sich danach.
    »Und Sie?« fragt er.
    »An Weihnachten? Ich werde mich drei Tage lang betrinken. Lisa wird mich als Hund beschimpfen, was ich ja auch bin. Dann werde ich nüchtern werden, stundenlang mit ihr schlafen und dann mit ihr und den Kindern zur Messe in Saint-Eustache gehen. Unkeusche Gedanken über die junge Frau in der Bank vor mir haben. Vielleicht eine Möglichkeit finden, mich vor der Kommunionbank an sie zu drücken.«
    »Und Ihre Freunde? Renard? Fleur, de Bergerac?«
    »Ah, sie waren Ihnen nicht sonderlich sympathisch, nicht wahr? Eigentlich gibt es ja auch nicht viel Sympathisches an ihnen. Übrigens, die Farbe an Ihrer Wange wird irgendwann von allein abgehen. Bis dahin können Sie ja so tun, als handelte es sich um Schönheitsflecken. Da wir gerade von Schönheit reden …«
    Ein dickes Tuch um die Schultern, kommt das Mädchen Jeanne vom Haus des Küsters aus auf sie zu. Sie hebt grüßend eine rosige Hand.
    »Sie sind wieder da«, sagt sie.
    »Ja«, sagt Jean-Baptiste.
    »Ich habe mich schon gefragt, wo Sie sind.«
    »Ich hatte woanders etwas zu erledigen«, sagt er. »Ich habe eine Reise gemacht.«
    »Wie schön«, sagt sie. »War es schön?«
    »Sie hat ihren Zweck erfüllt«, sagt Jean-Baptiste.
    »Weiß sie eigentlich«, fragt Armand, »worin ihr Zweck bestand? Weiß sie, was Sie mit uns vorhaben?«
    Jeanne sieht Armand, dann Jean-Baptiste an. »Sie haben etwas mit uns vor?« fragt sie.
    »Nicht ich, andere«, sagt Jean-Baptiste. »Bedeutende Menschen.«
    »Aha«, sagt sie.
    »Aha, in der Tat«, sagt Armand.
    »Bestimmt hast du dich gefragt, was ich hier mache, Jeanne. Bestimmt hast du dich das gefragt, als du mir geholfen hast.«
    »Ich habe Ihnen gern geholfen«, sagt sie. »Wenn Sie möchten, helfe ich Ihnen heute auch.«
    »Heute wird es nicht nötig sein«, sagt er.
    »Der Friedhof«, sagt Armand, »denn ich werde es ihr sagen, wenn Sie es nicht tun. Der Friedhof soll verschwinden, Jeanne. Der Friedhof und die Kirche.«
    »Die Sache wurde schon vor langer Zeit entschieden«, sagt Jean-Baptiste. »Der Ort soll neu gestaltet werden. Gereinigt. Der König selbst wünscht es.«
    »Der König?«
    »Du brauchst keine Angst zu haben. Die Überreste, die Gebeine, werden alle an einen Ort gebracht, einen geweihten Ort, wo sie sicher aufbewahrt werden können.«
    »Alle?« fragt sie.
    »Ja.«
    »Und Sie können das?« Sie besieht sich den Spaten.
    »Andere werden mir helfen«, sagt er.
    Sie nickt mehrmals. »Wenn es das ist, was Sie wollen«, sagt sie leise.
    »Für dich und deinen Großvater wird man sorgen. Du hast mein Wort darauf.«
    »Seien Sie lieber vorsichtig mit dem, was Sie versprechen«, sagt Armand.
    »Man kann den

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