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Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Titel: Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Miller
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Friedhof«, sagt Jean-Baptiste, der ihn ignoriert, »schließlich nicht einfach sich selbst überlassen, oder?«
    »O nein«, sagt sie, »ganz gewiss nicht.«
    »Und du weißt, wie sich die Leute darüber beschweren.«
    Sie runzelt die Stirn. »Großvater sagt, früher sind die Leute stolz darauf gewesen, an einem so berühmten Ort zu wohnen. Sie haben damit geprahlt.«
    »Die Nasen der Leute«, sagt Armand, »sind eben empfindlicher geworden.«
    Wieder nickt sie, nachdrücklicher diesmal, als wäre die Sache vollkommen plausibel.
    »Und das Haus?« fragt sie.
    »Ihr werdet ein neues bekommen. Vielleicht sogar hier, wenn der Grund geräumt worden ist.«
    »Großvater wird es gutgehen, wenn ich bei ihm bin«, sagt sie.
    »Natürlich. Du musst bei ihm sein.«
    Einige Sekunden lang stehen sie da, ohne etwas zu sagen. Sie blicken sich um. Sie sehen nichts, was darauf hindeutet, dass jemals etwas anders sein wird, als es jetzt ist.
     
    Eine Stunde später, während sie sich in einer verspiegelten Nische im Café de Foy mit Branntwein und heißem Wasser aufwärmen, sagt Armand: »Sie ist nur damit einverstanden, weil es von Ihnen kommt. Sie haben irgendeinen normannischen Zauber bei ihr gewirkt. Aber haben Sie ihr nicht etwas vorgemacht? Sobald sich Ihre Bergleute an die Arbeit machen, werden sie die Gebeine herumwerfen wie Feuerholz. Und dieses Haus, das Sie ihr versprochen haben. Haben Sie sich das nicht einfach nur ausgedacht? Sie haben ebensowenig die Macht, ihr ein Haus zu verschaffen, wie Sie die Macht haben, mir die Orgel von Saint-Eustache zu verschaffen.«
    »Ich werde tun, was ich kann«, sagt Jean-Baptiste.
    »Sie werden tun, was man Ihnen sagt«, sagt Armand. »Trifft es das nicht eher?«
    »Der Minister …«
    »Ihr großer Freund, der Minister.«
    »Ich glaube nicht, dass er gefühllos ist.«
    »Und Sie glauben, er wird etwas für Jeanne fühlen? Oder sind Sie es, der etwas für sie fühlt? Ich verstehe durchaus, dass es schön sein könnte, sich in einer kalten Nacht an ein Mädchen wie sie zu schmiegen.«
    »Sie ist ja fast noch ein Kind.«
    »Aber nur fast. Unsere geliebte Königin wurde mit Vierzehn verheiratet. Und sie würde mit Ihnen gehen. Sie könnten sie auf Ihr Zimmer bei den Monnards schmuggeln. Obwohl Sie damit Ziguette vor den Kopf stoßen würden.«
    »Sie sind es, glaube ich, der sich für Ziguette interessiert.«
    »Wenn Sie damit meinen, ob ich es mit ihr machen würde, wenn sich die Gelegenheit dazu böte, so lautet die Antwort ja. Genau wie Sie, vermute ich. Was mich auf den Gedanken bringt, dass wir unsere persische Prinzessin beäugen gehen sollten. Was meinen Sie?«
    »Heute nicht.«
    »Nein? Sie sind ein Langweiler, Mosnsieur Bêche. Vor der Langeweile sollten Sie sich hüten. Sie ist nicht modern. Aber wie Sie wünschen. Wenn Sie den Branntwein bezahlt haben, werde ich Ihnen die Ehre erweisen, Sie zu Ihrem Quartier zu begleiten.«
    Am Rand des Marktes, während sie gerade das obere Ende der Rue des Prêcheurs überqueren, begegnen sie der Österreicherin. Sie hat ein kleines Bücherpaket bei sich, das sorgfältig mit schwarzem Bindfaden verschnürt ist. Sie vermittelt den Eindruck, dass ihr die Kälte, der Schneematsch auf den Pflastersteinen, der wirbelige Wind, der andere finster dreinschauen lässt, nur wenig ausmachen. Armand grüßt sie und erhascht dann etwas von dem Blick, dem sekundenkurzen Hin und Her zwischen der Hure und dem Ingenieur.
    »O nein. Die doch nicht etwa auch?« fragt er. Und fängt zu lachen an.

Teil 2
     
    Eines Tages werde ich um die trauern, die mir
    teuer sind, oder von ihnen betrauert werden … Beim
    Gedanken an den Tod verlangt die bedrückte Seele
    danach, sich vollständig zu öffnen und die Gegenstände
    ihrer Zuneigung zu umschließen.
     
    J. Girard, Des Tombeaux, ou de l’Influence
    des Institutions Funèbres sur les Mœurs

1
     
    VON DEN FENSTERN einer Kutsche aus, die nicht anhält, wirkt die Armut der Dörfer beinahe malerisch. Wieviel hat sich in zweihundert Jahren verändert? Haben die Menschen zur Zeit Henris IV . nicht auch schon ganz ähnlich gelebt? Vielleicht sogar besser, denn es hat nicht so viele von ihnen gegeben, die Böden waren weniger ausgelaugt und die Grundherren mit ihren nur flüchtig zu erblickenden Schlössern nicht so zahlreich.
    Er fährt nach Hause! Zum erstenmal seit elf Wochen, obwohl es in seinem Herzen ebensogut elf Jahre sein könnten, er selbst ein ergrauter Odysseus, der angestrengt nach dem blauen Schatten von

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