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Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Titel: Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Miller
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seiner Hauswirtin lebt oder an einbalsamierten Prinzessinnen Geschmack findet. Was seine Arbeit im Friedhof angeht, so wiederholt er nur, was er schon in seinen Briefen geschrieben hat: Man hat ihn beauftragt, die hygienischen Verhältnisse in einem dichtbevölkerten Viertel zu verbessern und einige Umbauten an einer alten Kirche vorzunehmen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, ihnen nicht alles zu erzählen, nichts verbietet es, die Arbeit ist nicht unanständig , doch wenn es dazu kommt, befürchtet er, wird er etwas in ihren Gesichtern sehen, wird flüchtig irgendeinen schlecht verhehlten Widerschein von Ekel darin erblicken.
    Seine Schwester will wissen, ob er die Königin gesehen hat. »Ja«, sagt er, bis jetzt die unverblümteste seiner Lügen. Natürlich wird er aufgefordert, sie zu beschreiben, und zwar in allen Einzelheiten.
    »Sie war ein Stück weit von mir entfernt«, sagt er, »und von ihren Hofdamen umringt.«
    »Aber etwas musst du doch gesehen haben?«
    Er beschreibt Héloïse. Mutter und Schwester sind entzückt, besonders seine Schwester.
    »So weit kann sie nicht weg gewesen sein«, sagt sie, »denn du hast ein vollkommenes Porträt von ihr gezeichnet.«
    Eine Stunde später stürzt unter Türenschlagen und dem ausgelassenen Bellen der Hunde sein Bruder Jean-Jacques zu ihnen herein, äußerlich ihrem toten Vater so ähnlich, wie Jean-Baptiste ihrer noch lebenden Mutter ähnlich ist. Er lehnt sein Gewehr – Vaters alte Charleville-Muskete – seitlich gegen die Anrichte und begrüßt seinen Bruder mit unverstellter, männlicher Zuneigung, die sofort zur Folge hat, dass sich das Gefühl von Fremdheit, das Jean-Baptiste praktisch seit seiner Ankunft beschlichen hat, noch verstärkt.
    »Ich habe ein Kaninchen geschossen«, sagt Jean-Jacques. »Nur ein kleines, oben bei der Senke. Hab das arme Ding regelrecht zerfetzt. Sollen die Hunde es kriegen.«
    »Dass du damit überhaupt etwas triffst …« sagt Jean-Baptiste und deutet mit dem Kinn auf die Muskete.
    »Das Geheimnis besteht darin, einen halben Meter nach links zu zielen. Du könntest es für mich berechnen, lieber Bruder. Ein bisschen was von deinem Euklid.«
    »Es wäre einfacher, ein neues Gewehr zu kaufen. Eins mit gezogenem Lauf.«
    »Aber das alte würde mir fehlen«, sagt Jean-Jacques, macht es sich auf der anderen Seite des Kamins bequem und streckt die Beine vor sich aus. »Na, was gibt es Neues in Paris?«
    »Dies und das.«
    »Mager bist du geworden.«
    »Und du hast einen Bauch bekommen. Man wird die Weste weiter machen müssen.«
    »Ein Bauch steht ihm«, sagt Henriette. »Findest du nicht?«
    Es stimmt. Er steht ihm ausgezeichnet. Wie gut er in diese normannische Welt passt! Kräftige Schultern von der Arbeit auf dem Hof. Eine gesunde rote Farbe in den Wangen, das dunkle Haar mit einem Stück blauem Band zusammengebunden. Ein Beau vom Lande. Ein Mann, der hierherpasst, der seinen rechtmäßigen Platz einnimmt. Kein Wunder, dass er niemals besonderen Neid auf den Erfolg seines Bruders gezeigt hat, auf seine Bildung, seine Förderung durch mächtige Männer. Seine Ambitionen waren immer von anderer Art – weniger hochfliegend, leichter zu verwirklichen. Und wer von beiden ist jetzt der Freiere? Wer hat mehr Freude am Leben? Wer käme einem, der dergleichen unvoreingenommen beurteilen kann, wie der Arrivierte vor, der, der sein Glück gemacht hat?
    In dieser Nacht teilen sich die Brüder ihr altes Zimmer, werden vom Schrei der Eulen in den Schlaf befördert und erwachen zusammen im Licht eines spät untergehenden Mondes. In der Küche – jener geschrubbten, ordentlichen Welt, wo selbst das Licht wie Bahnen von nassem Musselin zu liegen scheint – schürt ihre Mutter das Feuer, wirft Kleinholz auf kleine Flammen. Sie erhitzt Cidre. Sie trinken ihn so heiß, dass ihnen die Zähne weh tun, stecken sich Brot und Äpfel in die Taschen und ziehen mit der Stute los, um einen umgestürzten Baum zu zersägen, eine alte Ulme, die die Herbststürme entwurzelt haben.
    Es ist eine schöne, eine gesunde Arbeit, obwohl es Jean-Baptiste nicht leichtfällt, mit seinem Bruder mitzuhalten. Sie schwitzen, lachen ohne Anlass, wetteifern mit der Säge, machen in ihren Geschichten anzügliche Andeutungen, kommen mit ausgedörrten Kehlen nach Hause, die Stute mit duftendem Holz beladen.
    So geht es eine Woche, und er beginnt, die Monnards, Lecoeur, Les Innocents zu vergessen. Er entdeckt bei sich selbst eine große Lust auf das Vergessen. Er lässt seinen

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