Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Titel: Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Miller
Vom Netzwerk:
Geschichten von Kleinstadtskandalen unterhält. Und da sind auch die ärmsten Verwandten, der alte Dudo und seine Frau – pure Baratte-Kleinbauern –, deren Augen sich nicht von denen der Tiere unterscheiden, die sie auf ihrem kleinen Flecken normannischen Schlamms halten. Sie sprechen nur altes Normannisch, verstehen kein Französisch, sitzen am Ende der Tafel und lassen Scheiben weißer Wurst unter ihren Kitteln verschwinden. Eigens deshalb lässt man immer einen Teller davon in ihrer Nähe stehen. Sogar die Kinder wissen, dass man besser nicht sieht, was die Alten da tun.
    Mittendrin in diesem liebenswerten Trubel spricht Jean-Baptiste fleißig dem Cidre zu. Wie schon seit langer Zeit alle Besuche, so ist auch dieser ein nicht recht erklärlicher Misserfolg. Wann sind wir nicht mehr imstande zurückzukehren, wirklich zurückzukehren? Welche geheime Tür schließt sich da? Nachdem er sich danach gesehnt hat, Paris zu entfliehen, möchte er nun unbedingt dorthin zurück. Wie auch immer sein Leben aussehen, welches Schicksal ihm auch immer aufgenötigt werden wird, es wird woanders gelebt werden, nicht hier in den immer noch geliebten Feldern und Wäldern seiner Kindheit. Er leert seinen Becher, kaut auf etwas, das im letzten Schluck war, und greift nach dem Krug. Seine Schwester lässt sich neben ihm auf der Bank nieder. In jüngeren Jahren haben sie oft miteinander gestritten, und sie kam ihm gehässig und eingebildet vor, doch nun – als unscheinbare Dreiundzwanzigjährige – ist sie die Freundlichkeit selbst, von einer Lebensklugheit, die sie wer weiß woher bezieht, einer beneidenswerten Lebensklugheit. Sie fragt ihn weiter nach Paris aus, nach der Mode, nach den Monnards, bei denen er wohnt. Sie weiß, dass er ihr bei weitem nicht alles erzählt hat. Besonders erkundigt sie sich nach seiner Gesundheit. Er sei ein wenig erschöpft, sagt er achselzuckend. Er habe nicht so gut geschlafen wie sonst. Und dann fällt ihm ein, worauf ihre Frage vielleicht abzielt.
    »Du meinst, ich rieche nicht so gut wie früher?«
    »Wir haben uns gefragt, ob es von der Pariser Luft kommt, Jean. Dass sie nicht so gut ist wie hier.«
    »Das ist sie tatsächlich nicht«, sagt er. »Nicht annähernd.«
    »Dann wirst du dich erholen, wenn du hierher zurückkehrst«, sagt sie. »Ich finde, es hat sich schon etwas gebessert.«
    Er bedankt sich auf übertrieben lustige Weise.
    »Wann fährst du zurück?« fragt sie.

2
     
    ARMAN D UN D SEIN E GELIEBTE , vielleicht auch Jeanne, müssen recht gesprächig gewesen sein. Als Jean-Baptiste nach Paris zurückkehrt, zeigt man auf der Straße mit dem Finger auf ihn oder starrt ihn schlicht an, als könnte oberhalb seines Mantelkragens der Rand einer Engelsschwinge oder auf seiner Stirn der Ansatz eines Horns zum Vorschein kommen. Am Morgen vor Epiphanias droht ihm auf dem Marktplatz mit welkem Arm ein alter Mann, einer von der abgerissenen, grimassierenden Art, die an jedem öffentlichen Ort anzutreffen sind, und fordert ihn auf, sich fernzuhalten vom »Feld unserer Väter, auf dass nicht der Zorn des Allmächtigen …« Zwei Tage später schenkt ihm ein Standbesitzer in der Rue de la Fromagerie eine Honigwabe und wünscht ihm Glück. Er beginnt, hinter seinem Rücken ein neues Wort zu hören. »Ingenieur.« Er fragt sich, wie viele von ihnen eine klare Vorstellung davon haben, was ein Ingenieur ist.
    Doch von allen Reaktionen, auf die er in den ersten kalten Tages des neuen Jahrs trifft, ist keine verwirrender als die der Monnards. Bei seiner Rückkehr hat er sich beinahe gefreut, sie wiederzusehen, hat sich bei Monsieur Monnard noch einmal ausdrücklich für den geliehenen Anzug bedankt und sich eingehend danach erkundigt, wie Madame und Mademoiselle Monnard die Feiertage genossen haben, doch beim Essen am zweiten Abend war klar, dass es ihnen durchaus nicht gutging. Es war schließlich Madame Monnard, die (nachdem sie zunächst ein Stück Knorpel aus dem Mund auf ihre Faust gespuckt hatte) das Thema zur Sprache brachte, das offensichtlich der Grund für ihre Unruhe war.
    »Monsieur«, begann sie, »stimmt es, was wir über den Friedhof hören?«
    »Madame?«
    »Dass er … verschwinden soll?«
    Er legte Messer und Gabel aus der Hand. »In gewisser Weise ja, Madame. Er soll beseitigt, das Gelände soll gereinigt werden. Auch die Kirche wird irgendwann beseitigt werden.«
    »Für uns ist das ein Schlag ins Kontor«, sagte Monsieur Monnard. »Wir haben nicht damit gerechnet.«
    »Das tut mir

Weitere Kostenlose Bücher