Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)
habe an Sie gedacht«, sagt er, macht einfach den Mund auf und lässt die Worte herauskommen, wie sie wollen. Für etwas Besonnenes, für ein sorgfältiges Abwägen von Effekten, ist es zu spät. »Ich habe an Sie gedacht. Oft.«
Sie nickt. Die Geste hilft ihm nicht.
»Wir könnten hineingehen«, sagt er. »Drinnen reden.«
»Im Haus der Monnards?«
»Sie hätten keine Einwände. Sie können es sich nicht leisten, etwas gegen meine Wünsche einzuwenden.«
»Wegen der Tochter?«
»Ja.«
»Wegen dem, was sie getan hat?«
»Ja.«
»War sie Ihre Freundin?«
»Nicht so, wie Sie es meinen.«
»Wie meine ich es denn?«
»Sie wissen genau, wie Sie es meinen.«
»Es hätte keine Rolle gespielt.«
»Nein?«
»Wieso hätte es eine Rolle spielen sollen?«
»Ich weiß auch nicht«, sagt er.
Sie halten inne, als wäre beider Verstand für kurze Zeit verwirrt, weil dieses Gespräch so seltsam ist, ja weil es überhaupt stattfindet. Hèloïse fasst sich als erste wieder. »Und das wollten Sie mir sagen? Dass Sie an mich gedacht haben?«
»Das ist nicht alles.«
»Was ist denn noch?«
»Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht … hierherkommen könnten.«
»Sie besuchen?«
»Ob Sie hier wohnen könnten. Ob Sie das vielleicht möchten.«
»Im Haus?«
»Ja.«
»Nicht dass wir uns missverstehen«, sagt sie.
»Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt.«
»Sie möchten mich zu Ihrer Geliebten machen?«
»Ich möchte, dass Sie bei mir wohnen.«
»Was heißt denn dieses Wohnen ?Sie meinen, mit Ihnen zusammenleben?«
»Ja.«
Jetzt, denkt er, jetzt wird sie den Kopf zurückwerfen und lachen. Mit einer Stimme voller Verachtung wird sie ihm vorhalten, dass er nicht weiß, was er da redet. Das stimmt ja auch. Er weiß es tatsächlich nicht. War das seine Botschaft? Lebe mir mir zusammen? Oder hat er einfach das Ausgefallenste gesagt, was ihm in den Sinn gekommen ist? Er schickt sich an, etwas Schroffes, Abweisendes zu ihr zu sagen, etwas, was seine Beschämung verhehlen soll, doch als sie wieder spricht, ist ihre Stimme ruhig und ernst. Nicht unfreundlich.
»Haben Sie denn schon einmal mit einer Frau zusammengelebt?« fragt sie.
»Nein«, sagt er. Dann: »Ist Ihre Frage praktischer Natur? Befürchten Sie, dass ich nicht weiß, wie ich mich zu verhalten habe?«
»Wir kennen einander nicht«, sagt sie.
»Wir kennen einander nicht gut«, sagt er.
»Bei näherer Bekanntschaft würden Sie mich vielleicht unsympathisch finden. Oder ich Sie.«
»Sie möchten also nicht mit mir zusammenleben?«
»Das habe ich nicht gesagt. Nur, dass ich nicht glaube, dass Sie … alles bedacht haben, was es dabei zu bedenken gibt. Jedenfalls nicht richtig.«
»Da irren Sie sich«, sagt er.
»Oder Sie irren sich.«
»Ich irre mich nicht.«
»Ha! Sie mögen es nicht, wenn man Ihnen widerspricht.«
Sie schiebt den Mund ein wenig vor, verzieht ihre Lippen so, wie sie es etwa auf dem Markt täte, wenn sie es mit irgendeinem gewieften, hartnäckigen Standinhaber zu tun hätte. Dann senkt sie den Blick und scharrt mit einer Fußspitze langsam über die Pflastersteine.
»Sie mögen mich«, sagt sie.
»Ja.«
»Warum?«
» Warum ?«
»Das müssen Sie doch wissen«, sagt sie.
»Natürlich«, sagt er, obwohl es ihm in Wirklichkei nie in den Sinn gekommen ist, dass er einen Grund dafür braucht, sie zu mögen. »Sie haben mich angesehen«, sagt er.
»Sie sind mir aufgefallen?«
»Ja.«
»Das stimmt«, sagt sie. »Sie sind mir tatsächlich aufgefallen.«
»Sie haben Käse gekauft«, sagt er.
Sie nickt. »Sie wirkten verloren.«
»Sie auch.«
»Verloren?«
»Fehl am Platze.«
»Wenn ich darauf einginge«, sagt sie nach einer weiteren Gesprächspause, in der sie jedes seiner Worte sorgfältig zu wägen scheint, »müsste ich die Freiheit haben, nach Belieben kommen und gehen zu können. Ich bin zu alt, um von Ihnen oder sonstwem Befehle entgegenzunehmen.«
»Diese Freiheit hätten Sie.«
»Und wenn Sie mich jemals schlagen würden …«
»Das würde ich nie tun.«
»Wie ich höre, haben Sie jemandem ein Messer an die Kehle gehalten. An jenem Abend in der Rue Saint-Denis.«
»Das war ein Schlüssel, kein Messer.«
»Ein Schlüssel?«
»Ja.«
»Weil er mich beleidigt hat?«
»Ja.«
»Er wird nicht der letzte gewesen sein.«
»Ich werde jeden in die Schranken weisen.«
»Mit einem Schlüssel?«
»Sie könnten bald kommen«, sagt er. »Haben Sie viele Sachen?«
»Ein paar Kleider«, sagt sie. »Ein paar
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