Friedhof der Verfluchten
heißt, man kann uns nicht sehen, und wir können auch nicht nach draußen sehen.«
Sie schaltete schnell. »Und Ihr Kreuz?«
»Vielleicht können wir dadurch den Rückweg schaffen.«
»Dann versuchen wir es doch.«
»Sie werden gehen, Modesty, ich aber bleibe.«
Fast hätte sie sich an ihrem eigenen Atem verschluckt. »Sie wollen freiwillig in dieser grauenvollen Umgebung bleiben? Aber… aber das verstehe ich nicht. Haben Sie denn einen Grund?«
»Den habe ich in der Tat. Ich möchte das Geheimnis von Brigadoon lösen. Das ist alles.«
»Tut mir leid, John«, erwiderte sie voller Überzeugung, »aber dafür habe ich kein Verständnis. Alles was recht ist, für so etwas kann ich mich nicht begeistern. Sie haben doch gesagt, dass Brigadoon alle hundert Jahre erscheint. Sollen sich die Menschen dann doch darum kümmern. Vielleicht gibt es dann Leute, die besser zurechtkommen als wir jetzt.«
»Das sehe ich allein aus Berufsgründen anders. Ich weiß nicht, was noch geschieht. Es könnte ja sein, dass Menschen in Gefahr geraten, und dagegen möchte ich einschreiten.«
Sie senkte den Kopf und nickte dabei. »Ja, Sie haben recht, John. Ich dachte wieder wie früher.«
»Nein, das war schon okay. Zudem interessiert mich dieses Mädchen, das damals ermordet wurde. Es muss eine Schlüsselrolle in diesem Fall spielen. Davon bin ich fest überzeugt.«
»Welche denn?«
»Wenn ich das wüsste. Dabei habe ich das Kreuz mit den vier Totenschädeln zerstört.«
»Das haben Sie geschafft?«
»Durch mein Kreuz.«
»Und warum?«
»Weil unter dem Kreuz das Grab des Mädchens gelegen hat. Nicht dort, wo Sie den Totengräber gesehen haben. Man hat diese Angela außerhalb des Friedhofs beerdigt und sicherlich nicht ohne Grund.«
»Ich hätte trotzdem Angst«, sagte Modesty.
»Das habe ich auch.«
»Ob Angela hier noch herumspukt?« fragte mich Modesty.
»Davon können wir ausgehen. Wenn nicht sie, dann vielleicht ihr Geist. Unter Umständen hat sie sich auch dorthin zurückgezogen, wo sie auch hergekommen ist.«
»Meinen Sie die Burg?«
»Genau.«
Wir warfen beide einen Blick dorthin. Eine Entfernung war schlecht zu schätzen, das Gemäuer konnte sehr nah sein, aber auch sehr weit weg. Das seltsame Licht verzerrte die Perspektiven ein wenig.
»Fast reizt es mich ja, der Burg einen Besuch abzustatten«, meinte Modesty.
»Kommt gar nicht in Frage. Wir werden losgehen, und ich versuche, Sie aus dieser Dimension herauszubekommen.«
»Wenn ich gewusst hätte, was Sie vorhaben, John, dann hätte ich niemals zugestimmt. Irgendwie fühle ich mich…« Sie stockte mitten im Satz, überraschte mich damit, und fragte: »Was ist los?«
»Da, schauen Sie mal!«
Ich folgte ihrem ausgestreckten Arm, der in Richtung Friedhof wies. Jetzt sah ich es auch. Nicht nur ein Grabstein, sondern mehrere begannen zu wackeln. Lautlos bewegten sie sich im Erdreich. Mir kam es vor, als würden sie makabren Tanz aufführen.
Der Friedhof der Verfluchten gab sein Geheimnis preis. Modesty Blaine sprach dies mit anderen Worten aus, wobei sie den Nagel auf den Kopf traf. »Die Toten steigen aus den Gräbern«, hauchte sie. »Mein Gott, das ist das Ende…«
Das Ende war es zwar nicht, dennoch, die Gefahr wuchs ins Unermessliche. Und es war nicht nur ein Grabstein, der schwankte, sondern gleich fünf, sechs und mehr.
Sie würden kommen. Die lebenden Toten.
Der Friedhof der Verfluchten machte seinem Namen alle Ehre, wenn er die schaurigen Gestalten aus dem Erdinnern ausspie.
»Oh Gott!« flüsterte Modesty, »was machen wir denn jetzt?«
Sie bekam von mir keine Antwort. Ich musste erst nachschauen, ob es irgendeinen Weg gab. Um an das andere Ende dieser Dimension zu gelangen, mussten wir über den unheimlichen Totenacker. Das schafften wir nicht mehr - oder?
»Kommen Sie, John, wir müssen es riskieren, bevor sie aus den Gräbern steigen.«
Modesty Blaine war optimistischer als ich. Das konnte sie auch sein, denn sie hatte noch keiner Zombie-Invasion gegenübergestanden. Aber ich. Gleich bei meinem ersten Fall hatten mich lebende Leichen erwischt. Damals stiegen die Toten auch aus den Gräbern. Ein Dorffriedhof wurde entleert, und die lebenden Leichen überfielen Frauen, Kinder und Männer. [4]
Der Gedanke an diesen meinen ersten richtigen Fall war nur kurz. Ich konzentrierte mich wieder auf den vor uns liegenden Friedhof. Da kippte der erste Grabstein! Es gab ein klatschendes Geräusch, als er auf die weiche Erde fiel und liegen blieb.
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