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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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der Fliegentür stehengeblieben. Ich hatte mich dann immer umgedreht, den großen Mann im hellen Sonnenlicht stehen sehen und gesagt: Sie müssen wohl ein Stück gekürzt werden! Er lachte immer, kam aber nie zu mir herein. Er sagte mir, seiner Schneiderin, nur, wie er dieses oder jenes Gesicht haben wollte, Großaufnahme oder weiter weg, Innenaufnahme oder draußen, und dann ging er wieder. Wie ich es geschafft habe, im Studio alleine zu bleiben? Die Branche steckte noch in ihren Kinderschuhen, und es gab in der ganzen Stadt nur eine Schneiderin, mich. Der Rest waren Dampfbügler, Arbeitssuchende, Zigeuner, hellsehende Drehbuchautoren, die nicht mal aus Teeblättern die Zukunft lesen konnten. Einmal, an Weihnachten, ließ mir Arby ein Spinnrad bringen, mit einer spitzen Spindel und einem Messingschild auf dem Pedal. ›HÜTEN SIE DAS HIER GUT, DAMIT DORNRÖSCHEN SICH NICHT IN DEN FINGER STICHT UND IN EWIGEN SCHLAF VERSINKT‹, stand darauf. Ich hätte ihn gerne gekannt, doch er blieb einer von vielen Schatten vor meiner Tür … und auch drinnen hatte ich mehr als genug Schatten. Ich sah nur die Menschenmenge, die sich hier im Studio zur Wallfahrt Richtung Friedhof versammelte. Wie alles andere im Leben hätte man den Pomp und auch diese Litanei etwas kürzen können.« Sie senkte den Blick auf ihren Busen, wo sie eine nicht existente Perlenkette zwischen den ruhelosen Fingern drehte.
    Nach einer langen Pause sagte Fritz: »Von Maggie Botwin werden wir jetzt ein ganzes Jahr lang nichts mehr hören!«
    »Von wegen.« Maggie Botwin fixierte mich mit ihrem Blick. »Hast du neueste Nachrichten, was die Aufregungen der letzten Tage betrifft? Man kann nie wissen, womöglich werden wir morgen alle zu einem Drittel unseres Gehalts wieder eingestellt.«
    »Nein«, sagte ich zaghaft.
    »Zum Teufel damit«, sagte Fritz. »Ich packe meine Koffer!«
    Draußen wartete noch immer mein Taxi, dessen Taxometer eine astronomische Summe zusammentickte. Fritz starrte mich voller Verachtung an. »Warum machst du nicht selbst den Führerschein, Idiot?«
    »Um die Leute auf der Straße zu massakrieren, à la Fritz Wong? Ist das unser endgültiger Abschied, Rommel?«
    »Nur so lange, bis die Alliierten die Normandie erobert haben.«
    Ich stieg ins Taxi und klopfte auf meine Jackentasche. »Was geschieht mit diesem Monokel?«
    »Laß es bei der nächsten Oscar-Verleihung aufblitzen. Ich besorge dir einen Platz auf dem Balkon. Worauf wartest du noch, auf eine Umarmung? Also gut!« Er quetschte mich wütend an sich. »Und jetzt: Abfahrt, Sie Aas!«
    Als ich davonfuhr, schrie mir Fritz hinterher: »Ich vergesse immer öfter, dir zu sagen, wie sehr ich dich hasse!«
    »Lügner«, rief ich zurück.
    »Stimmt«, nickte Fritz und erhob die Hand zu einem langsamen, müden Gruß, »… ich lüge.«
     

66
     
    »Ich habe über Hollyhock House nachgedacht«, sagte Crumley, »und über deine Freundin Emily Sloane.«
    »Sie ist nicht meine Freundin, aber rede weiter.«
    »Verrückte machen mir Mut.«
    »Was!!!!« Ich hätte beinahe mein Bier fallengelassen.
    »Die Verrückten haben sich entschieden, hierzubleiben«, sagte Crumley. »Sie hängen so sehr am Leben, daß sie sich lieber hinter einer selbst errichteten Mauer verschanzen, als sich zu zerstören. Sie tun so, als hörten sie nichts, aber sie hören sehr wohl. Sie tun so, als sähen sie nichts, aber sie sehen sehr wohl. Der Wahnsinn, das heißt nichts anderes als: ich hasse mein Schicksal, aber ich liebe das Leben. Und deshalb lasse ich mich nicht begraben, sondern verstecke mich. Nicht im Alkohol, nicht unter der Bettdecke, nicht hinter den Träumen der Nadel oder hinter Wolken weißen Puders, sondern im Wahnsinn. In meinem eigenen Hirnkasten, hinter meinem eigenen Dachsparren, unter meinem eigenen stillen Dach. Ja, tatsächlich, Verrückte machen mir Mut. Sie geben mir die Kraft, weiterzumachen, gesund und lebendig zu sein, immer mit der Gewißheit: sollte ich jemals die Nase voll haben und ein Rezept brauchen, hier ist es: der Wahnsinn.«
    »Gib mir das Bier!« Ich riß es ihm aus der Hand. »Wieviel hast du davon schon intus?«
    »Erst acht.«
    »Gott im Himmel.« Ich drückte es ihm wieder in die Hand. »Steht das dann alles in deinem Roman, sollte er je erscheinen?«
    »Schon möglich.« Crumley rülpste auf eine nette, entspannte, selbstzufriedene Art und fuhr dann fort: »Wenn du die Wahl hättest zwischen einer Milliarde Jahre Dunkelheit, ohne einen einzigen Sonnenstrahl oder der

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