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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Schizophrenie, würdest du nicht auch die Schizophrenie vorziehen? Auf diese Weise könntest du nach wie vor das grüne Gras genießen, das wie frisch aufgeschnittene Wassermelonen riecht; dir wo hinfassen, wenn keiner hinschaut. Und die ganze Zeit über tust du so, als sei dir an nichts mehr etwas gelegen. Doch es liegt dir so viel daran, daß du einen kristallenen Sarg um dich herum aufbaust und ihn versiegelst.«
    »Mein Gott! Rede weiter!«
    »Ich frage mich: Warum wählt jemand den Wahnsinn?
    Um nicht zu sterben, sage ich mir, um zu lieben. Alle deine Sinne sind Liebe. Wir lieben das Leben, aber wir fürchten uns vor dem, was es uns antun kann. Dann schon lieber wahnsinnig, oder?«
    Nach einer langen Pause sagte ich: »Wohin führt uns dieses ganze Gerede?«
    »Ins Irrenhaus«, sagte Crumley.
    »Um uns mit einer Schizophrenen zu unterhalten?«
    »Es hat schon einmal funktioniert, vor einigen Jahren, da habe ich dich hypnotisiert, und am Schluß hast du dich beinahe an einen Mörder erinnert.«
    »Richtig, aber ich war nicht bekloppt!«
    »Wer weiß?«
    Ich machte meinen Mund zu und Crumley seinen auf.
    »Hör zu«, sagte er, »warum bringen wir Emily Sloane nicht in die Kirche?«
    »Teufel aber auch!«
    »Bleib mir mit dem Teufel vom Leib. Wir wissen doch alle, daß sie jedes Jahr der Marienkirche auf dem Sunset Boulevard großzügig gespendet hat. Zwei Jahre hintereinander jeweils zweihundert silberne Kruzifixe. Einmal katholisch, immer katholisch.«
    »Auch noch als Verrückte?«
    »Sie würde auf alle Fälle etwas spüren. Tief drinnen, hinter ihrer Mauer, würde sie fühlen, daß sie in der Kirche ist und – reden.«
    »Toben, durchdrehen, vielleicht …«
    »Vielleicht. Aber sie weiß alles. Deshalb ist sie ja verrückt geworden, um nicht darüber nachdenken oder gar reden zu müssen. Sie ist die einzige, die noch übrig ist; die anderen sind tot oder halten sich direkt vor unseren Augen versteckt, die Mäuler mit Geld gestopft.«
    »Und du glaubst, sie würde wirklich genug spüren, fühlen, sich an alles erinnern? Was ist, wenn wir sie noch verrückter als vorher machen?«
    »O Gott, keine Ahnung. Sie ist die letzte Spur, die uns bleibt. Die ganze Geschichte werden wir von den anderen nie erfahren. Die halbe kriegen wir von Constance, das nächste Viertel von Fritz, und dann ist da noch dieser Priester. Das reinste Puzzle, und Emily Sloane gibt uns den Rahmen vor. Wir zünden die Kerzen und den Weihrauch an. Wir klingeln mit den Altarglöckchen. Vielleicht wacht sie nach siebentausend Tagen wieder auf und redet.«
    Crumley schwieg eine geschlagene Minute, trank in großen, herzhaften Schlucken. Dann beugte er sich zu mir und sagte: »Was jetzt? Holen wir sie raus?«
     

67
     
    Wir brachten Emily Sloane nicht in die Kirche.
    Wir brachten die Kirche zu Emily Sloane.
    Constance kümmerte sich um die Organisation.
    Crumley und ich brachten Kerzen, Weihrauch und ein kleines, indisches Glöckchen mit. Die Kerzen stellten wir mitten in den elysischen Gefilden, in einem dunklen Raum des Hollyhock House Sanatoriums auf und zündeten sie an. Ich befestigte Stoffetzen aus Baumwolle an meinen Knien.
    »Was zum Henker soll das denn?« meckerte Crumley.
    »Geräuscheffekte. Das raschelt. Genau wie das Gewand eines Priesters.«
    »Herr im Himmel!«
    »Exakt.«
    Als die Kerzen brannten und Crumley und ich in einer Mauernische verborgen standen, schwenkten wir den Weihrauch und probierten die Glocke aus. Sie gab einen reinen, klaren Klang von sich.
    Dann rief Crumley leise: »Constance? Jetzt.«
    Und Emily Sloane kam herein.
    Sie bewegte sich nicht aus eigenem Antrieb, ihre Füße rührten sich nicht, weder drehte sie den Kopf, noch reagierten ihre Pupillen, oder zeigte sich sonst eine Regung in ihrem wie aus Marmor gemeißelten Gesicht. Als erstes hob sich ihr Profil von der Dunkelheit ab, dann ein steifer Körper und Hände, die wie bei einem friedlich Entschlafenen über dem frühzeitig zur Keuschheit verdammten Schoß gefaltet waren. Sie wurde in einem Rollstuhl hereingeschoben, von einer beinahe unsichtbaren Produktionsleiterin: Constance Rattigan war ganz in Schwarz gekleidet, als probe man eine Beerdigung. Als Emily Sloanes weißes Gesicht und ihr erschreckend regloser Körper aus dem Flur auftauchten, war ein Geräusch wie von aufflatternden Vögeln zu vernehmen; wir fächelten Weihrauch und läuteten das Glöckchen.
    Ich räusperte mich.
    »Schsch, sie hört etwas!« hauchte Crumley.
    Tatsächlich.
    Als Emily

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