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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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herrichtete, ihm das Gesicht einwachste, den Leichnam mit Paraffin behandelte, damit er all die Jahre schön ordentlich in der Kremlmauer in Moskau liegen konnte!«
    »Lenins Präparator?« staunte ich.
    »Kosmetikspezialist.« Stanislau Groc erhob winkend seine zierliche Hand über seinem zierlichen Kopf, der auf seinem zierlichen Körper saß.
    Er war kaum größer als einer der singenden Zwerge in Das zauberhafte Land.
    »Entbieten Sie mir Ihre Kratzfüße«, rief er. »Sie schreiben über Monster, Roy Holdstrom baut sie. Ich aber habe ein großes, rotes Monster, das schon lange tot ist, geschminkt, eingewachst und poliert!«
    »Hören Sie nicht auf diesen belämmerten russischen Bastard«, sagte Fritz. »Konzentrieren Sie sich auf den Stuhl neben ihm.«
    Der Platz war leer.
    »Für wen ist der?« erkundigte ich mich.
    Jemand hüstelte. Alle Köpfe fuhren herum.
    Ich hielt den Atem an.
    Und die Ankunft nahm ihren Lauf.
     

15
     
    Der letzte Ankömmling war ein Mann, so bleich, daß seine Haut wie von einem inneren Licht erleuchtet schimmerte. Er war groß, einsfünfundachtzig würde ich schätzen, sein Haar war lang und sein Bart ordentlich gestutzt und gekämmt. Seine Augen waren von einer so verblüffenden Klarheit, daß einen das Gefühl beschlich, ihr Blick würde einem durch das Fleisch bis auf die Knochen schauen, und durch die Knochen bis in die Seele hinein. Als er an den einzelnen Tischen entlang schritt, blieben die Messer und Gabeln auf ihrem Weg zu den halboffenen Mündern in der Luft stehen. Nachdem er vorbei war, verflog das Schweigen wieder, und das Leben nahm seinen Gang. Er ging mit würdevollen Schritten, als trage er sein Gewand und nicht einen zerlumpten Mantel und eine verdreckte Hose. Jeden Tisch, den er auf seinem Weg passierte, segnete er, dabei waren seine Augen starr geradeaus gerichtet, so als sähen sie eine jenseitige Welt, nicht die unsere. Sein Blick fiel auf mich. Ich sank in mich zusammen, denn ich konnte mir nicht vorstellen, weshalb er mich ausgesucht haben mochte, aus all diesen unbestritten anerkannten Talenten. Und dann stand er über mir; sein Verhalten wirkte so stark auf mich ein, daß ich wie durch einen Sog aus dem Stuhl gezogen wurde und mich aufstellte.
    Es wurde sehr still, als dieser Mann mit dem wunderschönen Gesicht seinen dünnen Arm mit dem dürren Handgelenk ausstreckte, an dessen Ende sich eine Hand mit den längsten und feingliedrigsten Fingern befand, die ich je gesehen hatte.
    Ich hob meine Hand, um die seine zu ergreifen. Seine Hand drehte sich, und ich erblickte die Stelle, wo der Nagel mitten durch das Handgelenk getrieben worden war. Er drehte die andere Hand, damit ich die entsprechende Narbe in der Mitte des linken Handgelenks sehen konnte. Er erriet meine Gedanken und lächelte: »Die meisten Leute glauben, die Nägel wurden durch die Handflächen geschlagen. Nein. Die Handflächen würden das Gewicht des Körpers nicht tragen. Die Handgelenke hingegen, wenn man sie durchbohrt, schaffen das. Die Handgelenke.« Dann drehte er beide Hände um, so daß ich sehen konnte, wo die Nägel auf der anderen Seite wieder herausgekommen waren.
    »J. C.«, sagte Fritz Wong, »das ist unser Besucher aus einer anderen Welt, unser junger Science-Fiction-Schreiber …«
    »Ich weiß.« Der schöne Fremde nickte und deutete auf sich selbst.
    »Jesus Christus«, sagte er.
    Ich trat zur Seite, damit er Platz nehmen konnte; dann ließ ich mich auf meinen Stuhl zurückfallen.
    Fritz Wong reichte einen kleinen Korb voll Brot zu uns herunter. »Bitte«, rief er, »verwandle das in Fisch!«
    Ich schluckte.
    Doch im Handumdrehen hatte J. C. zwischen den Brotscheiben einen silbrigen Fisch hervorgezogen und schleuderte ihn hoch in die Luft. Fritz fing ihn begeistert auf, unter allgemeinem Gelächter und Applaus.
    Noch mehr Gebrüll und Applaus erntete die Kellnerin, die mit mehreren Flaschen billigen Fusels aufkreuzte.
    »Dieser Wein«, sagte J. C, »war noch vor zehn Sekunden pures Wasser. Bitte sehr!«
    Sofort wurde der Wein ausgeschenkt und gekostet.
    »Wirklich …«, stammelte ich.
    Der ganze Tisch schaute auf.
    »Er will wissen«, rief Fritz, »ob du wirklich so heißt.«
    Mit ernster Miene zog der große Mann ein Etui hervor und zeigte seinen Führerschein. Dort stand geschrieben:
    »Jesus Christus. 911 Beachwood Avenue. Hollywood.«
    Er steckte ihn wieder ein, wartete, bis es am Tisch etwas ruhiger geworden war, und sagte dann:
    »Ich kam 1927 in dieses Filmstudio, als

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