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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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was treibt ihr zwei denn dort?«
    Mannys Rolls-Royce, ein weißes Theater auf Rädern, glitt mit einem sanften Surren vorüber. Aus einem kleinen Theaterfenster schaute das Gesicht unseres Chefs heraus.
    »Haben wir uns verabredet oder nicht?«
    »Gehen wir oder fahren wir?« fragte Roy.
    »Wir gehen!«
    Der Rolls schwebte davon.
     

19
     
    Wir ließen uns Zeit bei unserem Spaziergang zu Halle 13.
    Ich schaute Roy immer wieder an, vielleicht konnte ich einen Hinweis darauf erhaschen, was er die lange Nacht über getan hatte. Schon als wir noch Kinder waren, hatte er mir nur selten seine wahren Gefühle gezeigt. Immer hatte er nur das Garagentor weit aufgerissen, um mir seinen neuesten Saurier zu zeigen. Erst wenn es mir den Atem verschlug, erlaubte er sich einen Freudenschrei. Wenn mir das, was er gemacht hatte, gefiel, dann kümmerte ihn nicht, was alle anderen dazu sagten.
    »Roy«, sagte ich. »Geht es dir gut?«
    Vor dem Atelier 13 trafen wir auf einen vor Wut kochenden Manny Leiber. »Wo zum Teufel seid Ihr gewesen?« schrie er uns an.
    Roy öffnete die schwere Tür zum Atelier, schlüpfte hinein und ließ sie hinter sich zuknallen.
    Manny funkelte mich an. Ich machte einen Satz und hielt ihm die Tür auf.
    Dann traten wir in die Nacht.
    Außer einer einzigen Glühbirne über Roys mit Armaturen versehener Arbeitsplatte herrschte Dunkelheit. Das Gerüst befand sich zwanzig Meter entfernt, hinter einer marsähnlichen Wüstenlandschaft, in der Nähe des von Schatten verdeckten Meteorkraters.
    Roy streifte sich die Schuhe von den Füßen und sprang wie ein Ballettmeister quer über die Landschaft, überaus vorsichtig, damit er keins der fingernagelgroßen Bäumchen, keins der fingerhutgroßen Autos zermalmte.
    »Zieht euch die Schuhe aus!« rief er.
    »Quatsch!«
    Doch auch Manny riß sich die Schuhe von den Socken und tänzelte durch die Miniaturwelt. Seit dem Morgengrauen war sehr viel dazugekommen: neue Berge, neue Bäume, plus dem, was uns unter dem nassen Laken im Lichtkegel der Glühbirne erwartete.
    Wir erreichten das verhüllte Gestell auf bestrumpften Füßen.
    »Seid ihr bereit?« Roy erforschte unsere Gesichter mit seinen Leuchtturmaugen.
    »Verflucht nochmal, natürlich!« Manny s Hand schnappte nach dem feuchten Tuch.
    Roy stieß sie weg.
    »Nein«, sagte er. »Ich!«
    Manny zog die Hand zurück, rot vor Zorn.
    Roy raffte das feuchte Tuch beiseite, als handele es sich um den Vorhang vor der größten Sensation der Welt.
    »Nicht die Schöne und das Ungeheuer«, rief er, »sondern das schöne Ungeheuer!«
    Manny Leiber und ich standen mit offenen Mündern da.
    Roy hatte nicht gelogen. Es war das schönste Stück Arbeit, das er je geleistet hatte, ein geradezu perfektes Ding, das aus einem weitgereisten Langstreckenraumschiff kroch, ein Jäger der mitternächtlichen Pfade zwischen den Sternen, ein einsamer Träumer hinter seiner schrecklichen, grauenhaften, fürchterlichen, entsetzlichen Maske.
    Das Monster.
    Der einsame Mann hinter der spanischen Wand im Brown Derby, der über etwas lachte, das schon hundert Nächte her zu sein schien.
    Die Kreatur, die auf den mitternächtlichen Straßen entflohen war, um sich dann in einen Friedhof zwischen die weißen Gräber zurückzuziehen.
    »Großer Gott, Roy.« Meine Augen füllten sich mit Tränen, so groß war der Schock, der mich mit einer Wucht traf, als würde das Monster leibhaftig auf uns zukommen und sein zerklüftetes Gesicht in die Nachtluft recken. »O Gott …«
    Roy betrachtete sein Werk mit wild flackernder Leidenschaft. Erst dann drehte er sich zu Manny Leiber um. Was er sah, verblüffte uns beide.
    Mannys Gesicht war so weiß wie Hüttenkäse. Seine Augen zuckten in den Höhlen hin und her. Seine Kehle krächzte, als zöge ihm jemand mit einem Draht den Hals zu. Seine Hände krallten sich in seine Brust, als hätte sein Herz ausgesetzt.
    »Was hast du angerichtet ?« kreischte er. »Jesus! Mein Gott, o nein! Was ist das? Fauler Zauber? Ein Scherz? Deck das zu! Du bist gefeuert!«
    Manny schleuderte das feuchte Tuch über das Lehmungeheuer.
    »Das ist Mist!«
    Mit steifen, mechanischen Bewegungen bedeckte Roy den Lehmkopf. »Ich wollte nicht …«
    »Du wolltest wohl! Du willst so etwas auf die Leinwand loslassen? Perverser! Pack deine Sachen und scher dich davon! Hau ab!« Zitternd schloß Manny die Augen. »Sofort!«
    »Sie haben es doch aber verlangt!« widersprach Roy.
    »Dann verlange ich jetzt, daß es zerstört wird!«
    »Die beste …

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