Friedhof für Verrückte
meine Verlegenheit zu überspielen, fragte ich: »Wo ist Clarence?«
Charlotte und Ma glotzten mich an. »Sie erinnern sich an ihn ?«
»Wie könnte ich Clarence vergessen, seine Mappe und seinen Mantel?« sagte ich, weiter Autogramme kritzelnd.
»Er hat sich heute noch nicht gemeldet«, schnauzte Ma.
»Gemeldet?«
»Er ruft immer um diese Zeit in der Telefonzelle dort drüben an und fragt, ob Soundso oder Soundso angekommen oder herausgekommen ist oder sonst was«, sagte Charlotte. »Damit spart er sich Zeit. Er steht spät auf, denn er ist normalerweise bis spät in die Nacht vor den Restaurants unterwegs.«
»Ich weiß.« Ich schrieb mein letztes Autogramm und glühte vor unstatthafter Erhabenheit. Ich traute mich immer noch nicht, in die Gesichter meiner neugewonnenen Verehrer zu schauen, die mich anlächelten, als hätte ich gerade Galiläa mit einem einzigen Schritt durchmessen.
Auf der anderen Seite der Straße klingelte das Telefon in der gläsernen Zelle.
»Das ist jetzt Clarence!« sagte Ma.
»Entschuldigen Sie …« Charlotte flitzte los.
»Bitte.« Ich hielt sie am Ellbogen fest. »Es ist schon so lange her. Eine kleine Überraschung?« Mein Blick wanderte von Charlotte zu Ma und wieder zurück. »Einverstanden?«
»Na schön«, grummelte Ma.
»Machen Sie schon«, sagte Charlotte.
Das Telefon klingelte. Ich rannte hinüber und nahm den Hörer ab.
»Clarence?«
»Wer spricht dort!?« rief er, sofort mißtrauisch.
Ich versuchte, ihm die Sache genauer zu erklären, gebrauchte dann aber doch die alte Metapher: »Der Verrückte.«
Das half Clarence auch nicht weiter. »Wo sind Charlotte und Ma? Ich bin krank.«
Krank, überlegte ich, oder, wie Roy, plötzlich in Panik.
»Clarence«, sagte ich, »wo wohnst du?«
»Warum?«
»Gib mir wenigstens deine Telefonnummer …«
»Die kriegt niemand! Meine Bude würden sie mir ausrauben! Meine Photos. Meine Schätze !«
»Clarence«, bettelte ich. »Ich war gestern nacht vor dem Brown Derby.«
Stille.
»Clarence?« rief ich. »Ich brauche deine Hilfe, um jemanden zu identifizieren.«
Ich könnte schwören, daß ich über den Draht sein kleines Kaninchenherz rasen hörte. Ich hörte, wie seine winzigen Albinoaugen in ihren Höhlen klackerten.
»Clarence«, redete ich erneut auf ihn ein, »bitte! Schreib dir meinen Namen und meine Telefonnummern auf.« Ich gab sie ihm durch. »Rufe im Studio an, oder schreibe dorthin. Ich habe gesehen, wie dich dieser Mann heute nacht beinahe geschlagen hätte. Warum? Wer …?«
Klick. Summ.
Clarence, wo immer er auch war, hatte eingehängt.
Ich schlich wie ein Schlafwandler über die Straße.
»Clarence kommt nicht.«
»Was soll das heißen?« blaffte mich Charlotte an. »Er ist immer hier!«
»Was haben Sie ihm gesagt?« Charlottes Ma funkelte mich mit ihrem linken, mit ihrem bösen Auge an.
»Er ist krank.«
Krank, dachte ich, wie Roy; krank, wie ich.
»Weiß jemand von euch, wo er wohnt?«
Sie schüttelten die Köpfe.
»Ich schlage vor, Sie verfolgen ihn und finden es selbst heraus!« Charlotte unterbrach sich und mußte selbst über sich lachen. »Ich meine …«
Jemand sagte: »Ich glaube, ich habe ihn mal die Beachwood runtergehen sehen. Eine von den Bungalow-Wohnanlagen …«
»Hat er auch einen Nachnamen?«
Nein. Wie alle anderen auch in all den Jahren. Keine Nachnamen.
»Mist«, zischte ich.
»Wo wir gerade dabei sind …« Charlottes Ma beäugte die Karte, die ich signiert hatte. »Wie ruft man Sie denn?«
Ich buchstabierte ihr meinen Namen.
»Wenn Sie beim Film arbeiten wollen«, meinte Ma verächtlich, »dann sollten Sie sich einen neuen Namen zulegen.«
»Nennt mich einfach den Verrückten.« Ich verabschiedete mich: »Charlotte. Ma.«
»Mach’s gut, Verrückter«, sagten sie.
21
Fritz wartete im ersten Stock auf mich, draußen vor Mannys Büro.
»Die da drinnen sind im Blutrausch«, klärte er mich auf. »Und was ist mit Ihnen los?«
»Ich hatte mit den Dämonen ein Zwiegespräch.«
»Was? Sind sie schon wieder von Notre Dame heruntergestiegen? Kommen Sie, hier rein!«
»Warum nur? Vor einer Stunde waren Roy und ich ganz oben, auf dem Everest. Jetzt hat man ihn zum Teufel geschickt, und ich hänge mit Ihnen in Galiläa fest. Können Sie mir das erklären?«
»Sie und ihre Art, sich beliebt zu machen«, sagte Fritz. »Wer kann das schon wissen? Vielleicht ist Mannys Mutter gestorben. Oder seine Geliebte hat sich besonders dumm angestellt. Oder Verstopfung?
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