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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Stadion heimzusuchen, für den Fall, daß Cary Grant vorübergesprintet käme, oder Mae West mit der Grazie einer knochenlosen Federboa durch die Menge wogte, oder Groucho an Johnny Weissmüllers Seite herumlungerte, der wiederum Lupe Velez wie ein Leopardenfell hinter sich herzog.
    Die Unverbesserlichen, ich mitten unter ihnen, mit riesigen Fotoalben, tintenverklecksten Händen und kleinen bekritzelten Karten. Die Verblendeten, die bei der Premiere von Broadway-Show oder Flirtation Walk glückselig und vom Regen aufgeweicht vor den Kinos standen, während die Depression immer weiter voranschritt, obwohl Roosevelt sagte, sie könne nicht endlos weitergehen, es würde auch wieder glücklichere Tage geben.
    Die Gorgonen, die Schakale, die Dämonen, die Furien, die Traurigen, die Verlorenen.
    Einst war ich einer von ihnen.
    Da standen sie. Meine Familie.
    Immer noch gab es einige vertraute Gesichter aus den Tagen, als ich mich in ihren Reihen verborgen hielt.
    Zwanzig Jahre später, mein Gott, dort standen Charlotte und ihre Ma! Sie hatten Charlottes Vater 1930 beerdigt und seit dem Zeitpunkt vor sechs Filmstudios und zehn Restaurants Wurzeln geschlagen. Jetzt, eine ganze Lebensspanne später, stand dort Ma, in ihren Achtzigern, stark und unerschütterlich wie ein Kanonenofen, und Charlotte, gut fünfzig, so mauerblümchenhaft zerbrechlich, wie sie schon immer ausgesehen hatte. Zwei Scheinheilige, denn trotz ihrer Unschuldsmiene waren sie knallhart.
    Ich hielt in diesem verblühten Beerdigungsbouquet nach Clarence Ausschau. Clarence war stets der lebhafteste von allen gewesen: er hatte riesige, zwanzig Pfund schwere Fotomappen von Studio zu Studio geschleppt. Roter Ledereinband für Paramount, schwarz für RKO , grün für Warner Brothers.
    Clarence, sommers wie winters in seinen überdimensionierten Kamelhaarmantel gehüllt, in dem er Kugelschreiber, Notizblöcke und Minikameras aufbewahrte. Nur an den heißesten Tagen trennte er sich von der Wickelbandage seines Mantels. Dann erinnerte Clarence an eine Schildkröte, die man aus dem Panzer gerissen hatte und die nun vom Leben einen Schrecken nach dem anderen eingejagt bekam.
    Ich überquerte die Straße und blieb vor der Meute stehen.
    »Hallo, Charlotte«, sagte ich. »Tag, Ma.«
    Die beiden Frauen schauten mich leicht schockiert an.
    »Ich bin’s«, versuchte ich zu erklären. »Erinnert ihr euch? Vor zwanzig Jahren. Ich war hier mit euch. Weltraum. Raketen. Zeit …?«
    Charlotte schnappte nach Luft und hielt eine Hand über ihren Überbiß. Sie beugte sich so weit nach vorne, als wollte sie jeden Augenblick in den Rinnstein fallen.
    »Ma«, rief sie, »ich – äh – der Verrückte !«
    »Der Verrückte.« Ich lachte in mich hinein.
    In Mas Augen flackerte ein Leuchten. »Warum, um Himmels willen?« Sie berührte meinen Ellbogen. »Du armes Ding. Was machst du denn hier? Sammelst du immer noch …?«
    »Nein«, sagte ich zögernd. »Ich arbeite hier.«
    »Da drüben?« entfuhr es Charlotte ungläubig.
    »Auf der Poststelle?« erkundigte sich Ma.
    »Nein.« Meine Wangen wurden feuerrot. »Man könnte sagen … in der Drehbuchabteilung.«
    »Du schreibst Drehbücher ab?«
    »Aber, um Gottes willen, Ma.« Charlottes Gesicht strahlte förmlich auf. »Er meint, er schreibt Drehbücher, stimmt’s?«
    Diese Erkenntnis war die reinste Offenbarung. Sämtliche Gesichter ringsum hatten Feuer gefangen.
    »Omeingott«, schrie Charlottes Mama. »Das gibt’s doch nicht!«
    »Doch«, sagte ich, beinahe flüsternd. »Ich mache gerade einen Film mit Fritz Wong. Cäsar und Christus .«
    Ein tiefes, gebanntes Schweigen breitete sich aus. Füße scharrten. Münder klappten auf und zu.
    »Dürften wir …«, sagte jemand, »ich hätte gern …«
    Charlotte führte den Gedanken zu Ende: »Ihr Autogramm. Bitte?«
    »Ich …«
    Doch schon reckten sich mir alle Hände entgegen, mit Kugelschreibern und weißen Kärtchen.
    Schamhaft nahm ich Charlottes Kärtchen und schrieb meinen Namen darauf. Ma versuchte die Schrift, die für sie auf dem Kopf stand, zu entziffern.
    »Schreiben Sie den Namen von dem Film, an dem sie arbeiten, mit dazu«, sagte Ma. »Christus und Cäsar.«
    »Schreiben Sie auch ›der Verrückte‹ hinter Ihren Namen«, schlug Charlotte vor.
    Ich schrieb: »Der Verrückte.«
    Ich kam mir wie ein kompletter Idiot vor. Da stand ich im Rinnstein, und all die traurigen, seltsamen, verlorenen Seelen hielten die Köpfe schief und versuchten herauszukriegen, wer ich war.
    Um

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