Friedhof New York
ein großes Gebilde, in dem sich alles vereinigte, was du und die anderen Menschen geträumt haben. Dabei wardein Traum nur ein Teil des Ganzen, ein Stück von diesem Puzzle des Schreckens. Stimmt das?«
Kray überlegte. Auf der Stirn bildete sich eine Falte. Er schaute gegen die Decke, als könne er dort die Antwort ablesen. »Ich weiß es nicht genau.«
»War es nur dein Traum?« Chato beugte sich vor. Sein Gesicht schwebte dicht vor dem des anderen.
»Vielleicht nicht.«
»Da war noch etwas anderes – oder?«
Da Kray lag, konnte er nicht nicken. Er deutete die Bewegung allerdings an. Chato blickte direkt in die Pupillen des liegenden Mannes. Wenn sein Mund auch log, sie würden es schwer haben. In ihnen stand zumeist die Wahrheit zu lesen.
Auch Suko war gespannt nähergetreten. Er war Chato dafür dankbar, daß dieser sich nicht in Apache mit Kray unterhielt, so konnte er alles verstehen. Allerdings hielt sich Suko dennoch etwas im Hintergrund auf.
Er wollte den Mann nicht ablenken.
»Nun…?«
Kray sprach von einem großen Gemälde, das er gesehen hatte. Zuerst hatte es hoch über ihm geschwebt, dann aber war es in Bewegung geraten und hatte sich gesenkt. Er war gleichzeitig in die Höhe gestiegen, um dem Gemälde entgegenzuschweben. Vieles kam bei ihm zusammen. Genau konnte er nicht sagen, wie sich die Dinge abgespielt hatten, schließlich jedoch war er Teil des Ganzen geworden, um gleichzeitig seinen eigenen Horror zu erleben.
»Hast du da niemals in die Runde geschaut?« fragte Chato.
»Ja, da war noch etwas. Weiter entfernt. Zuerst nicht zu erkennen, aber es schwebte näher. Es kam mir vor wie ein großes Tuch. Es bewegte sich über den Himmel hinweg, und auf dem Tuch sah ich Bilder, die hin-und herwallten. Ich sah Wasser, schwarzes Wasser, ich sah die Freiheitsstatue, ich sah unser New York, aber es war dunkel, so schrecklich dunkel, wie ich es noch nie erlebt habe. Das war keine normale Dunkelheit, es war die Finsternis der Hölle. Sie hat sich über New York ausgebreitet. Sie hat die Stadt verschluckt.«
»Weiter!«
»Sie stand noch. Ich sah auch Menschen. Sie rannten weg, denn sie konnten das Grauen nicht ertragen. Sie wollten nicht mehr bleiben. Die Angst kam. Jeder hat Angst gehabt. Sie war groß, so mächtig wie ein Mantel, und sie brachte auch die Kälte eines Friedhofs mit. Grabeskälte in New York.«
»Was passierte noch?«
»Man folterte mich und…«
»Das kenne ich ja. Ich meine, hast du dir nicht die anderen Gebilde angeschaut? Du hast mir von der Statue berichtet und von dem schwarzen Wasser. War es das Meer? War es ein See…?«
»Mit einem Boot.«
»Ein Schiff?«
»Nein, nein«, erwiderte Kray schnell. »Das ist kein Schiff gewesen, es war ein Boot, aber ein seltsames. Es wirkte so alt. Mit einem solchen Boot fährt man heute nicht mehr. Es war ein Klotz, eine Barke, und es fuhr sehr schwerfällig über das Wasser, obwohl es so aussah, als würde es schweben.«
»War das Boot leer?«
»Nein, überhaupt nicht. Es hatte auch keine Segel gesetzt, denn es ist gelenkt worden.«
»Von wem?«
Kray holte tief Luft. Sein Blick verlor sich in den Tiefen der Erinnerung.
»Es war nicht leer. Am Bug stand eine Gestalt. Dunkel und sehr groß. Der Tod, ja, es war der Tod, denn die Gestalt hielt eine große Sense fest. Sie überragte den Kopf. Sie war wie ein krummes, großes, tödliches Messer…«
»Was tat die Gestalt?«
»Nichts.«
»Kennst du ihren Namen?«
»Nein, auch nicht.«
»Jericho…?«
»Nie gehört.«
»War die Gestalt allein auf dem Boot, als sie über das Wasser glitt?«
Kray überlegte. Die Haut auf seiner Stirn zog sich zusammen. Er wollte wieder etwas sagen, doch die richtigen Worte fielen ihm nicht ein. Er konnte schließlich nur von zwei Männern sprechen, die sich auf dem Boot befanden.
»Ruderten sie mit?«
»Sie lagen nur dort. Sie waren erschöpft. Sie sahen aus, als würden sie schlafen, aber das habe ich nicht geglaubt. Ich dachte… nein, das kann nicht sein.«
»Was kann nicht sein?«
»Sie waren nicht tot. Sie konnten sich nur nicht bewegen. Als das Boot näher kam, habe ich sie erkennen können. Es waren Weiße, ich hatte sie nie gesehen, und auch der Traum gab mir keinen Aufschluß über sie. Sie sind fremd für mich gewesen.«
Chato nickte und machte dabei einen ziemlich zufriedenen Eindruck.
»Kannst du sie uns beschreiben, denn wie ich hörte, hast du dich sehr gut an sie erinnert.«
»Ich werde es versuchen.«
»Bitte, wir
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