Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
Vom Netzwerk:
sagen, etwas Beruhigendes, er streckte die Hand aus, über das Dach der niedrigen Kajüte hinweg, alles ist gut, wollte er sagen, ich tue dir nichts.
    Er musste ihr erklären, dass sie ihn nicht verraten durfte, sie durfte ihn nie gesehen haben.
    »Geh! Weg!«, schrie Amy. Ihre Stimme erinnerte ihn auf einmal an die der Katzenfrau. Aber sie war nicht ihre Mutter, sagte er sich, kein Mensch ist seine Mutter. Sie war ein Kind. Vielleicht verstand sie ihn.
    »Bitte«, sagte Lenz. »Nein. Amy. Komm her. Ich will nur mit dir reden.«
    Amy drückte das T-Shirt an ihre Brust, an der es nichts zu verbergen gab, sie konnte nicht älter sein als sechs. Dann bückte sie sich, sammelte ihre Sachen auf und rannte; noch immer nackt, panisch.
    »Warte!«, rief Lenz.
    Doch er ließ sie rennen, er folgte ihr nicht, es hätte alles nur noch schlimmer gemacht.
    Er glitt mit dem Rücken an der Kajüte hinab und saß einen Moment ganz still, den Kopf auf den Knien. Aber er wusste, dass er nicht lange so sitzen bleiben durfte. Sie würden kommen, um ihn hier zu suchen. Die Dunkelheit, die Sicherheit rief ihn; die Schatten unter der Erde und die Erinnerung an Iris’ Geruch dicht neben sich.
    †   †   †
    Sie würde die blauen Gläser ersetzen müssen. Alle. Neu bestellen. Bei einer anderen Firma. Verdammt.
    Sie würde nach Berlin fahren, die Gläser selbst abholen. Sie würde also doch fahren. Sie bat bei Werter in der Werkstatt darum, das Telefon benutzen zu dürfen. Kaminski war nicht da.
    Sie rief die Firma an. Blau? Natürlich. Blau. Blaue Gläser. Ja, sagte man ihr, sie könnte vorbeikommen. In zwei Tagen, dann hätten sie genug von der Sorte, die Siri brauchte. Blau war kein Problem. Sollte Blau denn ein Problem sein?
    »Es war mir auch neu«, sagte Siri. »Wasser ist blau, wissen Sie. Man kann darin ertrinken. Das ist ein Problem. Dann der Himmel. Hier. Über Angola ist der Himmel nie blau, nicht einmal über den Veranden. Wussten Sie das?«
    Sie rief ihren Vater an.
    »Ich komme«, sagte sie. »Übermorgen. Kurz. Vielleicht können wir uns treffen. Auf einen Kaffee.«
    »Siri«, sagte er. »Wo bist du? Du warst seit Ewigkeiten nicht erreichbar. Ich war bei deiner Wohnung. Ich habe mir Sorgen gemacht. Bist du in Schwierigkeiten?«
    »Ja«, sagte sie.
    »Warum? Was ist passiert?«
    Sie holte tief Luft, um dem alten Herrn irgendeine Art von Wahrheit zu sagen.
    »Es ist so …«, begann sie langsam. »Weißt du … das blaue Glas bricht. Seltsam, was? Ich habe mein Leben lang mit blauem Glas gearbeitet, und jetzt bricht es, wenn ich nur hinsehe.«
    »Bitte? Ich fürchte, ich verstehe nicht …«
    »Brauchst du nicht«, sagte sie freundlich. »Hast du nie«, fügte sie hinzu, sehr leise. »Ich rufe dich noch mal an, wenn ich in der Stadt bin. Übermorgen«, sagte sie und legte auf.
    Werter sah sie lange an, als sie ihm das Geld für die Telefonate in die Hand drückte.
    »Unsinn«, sagte er dann und gab es zurück. »Frau Pechton … Pechton, oder? Sie haben eine hübsche Internetseite. Ich habe mal nachgesehen. Auf der Seite sieht es aus, als wäre Pechton nur der Name der Firma.«
    Siri sagte nichts.
    »Frau Pechton … wissen Sie, wo das Friedhofskind ist?«
    »Nein.«
    »Sie sind sich ganz sicher?«
    Siri nickte.
    Werter wischte sich die öligen Hände an einem Lappen ab und trat einen Schritt näher. Seine weißen Locken waren so gepflegt wie immer, sein Gesicht ernst.
    »Sie wissen, dass sie ihn suchen. Der junge Kaminski sagt, Sie waren dabei. Bei Frau Ammerland. Ich war heute da, habe mit ihr gesprochen. Der Junge fängt an, rotzusehen. Nicht schön, was da passiert ist.«
    Es dauerte einen Moment, ehe Siri begriff, dass er nicht von Lenz sprach. Er sprach von Kaminski.
    Oder?
    »Ich kann nicht meine Hand über alle halten«, sagte Werter. »Ich halte meine Hand über das, was ich als das Recht betrachte. Verstehen Sie das?«
    »Ich …«, begann Siri unsicher.
    »Ich werde versuchen, zu verhindern, dass Kaminski und seine Freunde Dummheiten machen«, sagte Werter. »Aber ich werde auch nicht zulassen, dass jemand hier herumläuft, der Frauen und Kinder gefährdet.«
    Sie sah ihn an, und er nickte, weil er begriff, dass sie immer noch nicht verstand.
    »Gehen Sie mal zum Friedhof, Frau Pechton«, sagte Werter. »Wir haben keine Kneipe hier im Dorf, aber wir haben den Friedhof. Sie werden sie alle dort finden.«
    Und Siri fand sie. Sie standen vor der Kirche herum und rauchten und redeten, jetzt, da kein

Weitere Kostenlose Bücher