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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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los.
    »Arschloch, Arschloch, Arschloch«, sagte Amy, die immer noch auf der Matratze saß. »Mit dir kann man überhaupt nicht spielen.
    »Mit mir könnte sie spielen«, sagte Iris.
    Lenz schüttelte den Kopf, er lehnte neben ihr an der winzigen Kajüte von Aljoschas Boot und versuchte sich zu erinnern, wie es gewesen war, als Iris und er zusammen geschwommen waren. Sie hatten alles zusammen getan, hinausschwimmen und von Luftmatratzen fallen und tauchen – da war nie einer gewesen, der etwas besser konnte.
    Iris ließ sich vom Dach der Kajüte gleiten und landete im Wasser. Er sah sie zu Amy hinausschwimmen, ihr blaues Kleid zu einer Qualle aufgebläht wie der geblümte Mantel von Siri, als er sie durchs Wasser gezogen hatte. Einen Teil der Strecke tauchte sie, die blaue Qualle im grünblauen Meer, wie ein weiteres Aquarell, ihre blonden Haare folgten ihr wie Seetang und waren nicht länger blond, als sie neben der Luftmatratze auftauchte, sie waren jetzt dunkel vor Nässe, lagen am Kopf an wie ein brauner Helm, als wären sie plötzlich kurz, und als sie sich nach Lenz umdrehte und ihn mit ihren Himmelaugen anstrahlte, sah er einen Moment lang jemand anderen.
    Er schüttelte sich.
    Iris winkte kurz, drehte sich um und legte ihre Arme auf Amys Matratze.
    »Ich bin hier«, sagte sie. »Ich kann dir zeigen, wie man schwimmt. Ich konnte immer gut schwimmen, weißt du?«
    Amy verzog das Gesicht zu einem ärgerlichen Weinen und versuchte, mit den Händen zu paddeln wie zuvor ihr Bruder, aber die Matratze kam nicht recht voran.
    »Er hat recht, du kannst hier stehen«, sagte Iris. »Du bist ungefähr so groß wie ich. Guck, ich kann auch stehen.«
    Sie stellte sich neben die Matratze und breitete die Arme über dem Wasser aus, und die Sonne glänzte auf ihrem nassen Haar. Amy sah an ihr vorbei zum Ufer, paddelte weiter, sinnlos, aber sehr verbissen.
    Lenz sah, wie Iris unter der Matratze durchtauchte, Fischmädchen, Nixenmädchen, sie kam auf der anderen Seite hervor und wollte der Matratze einen Schubs in Richtung Ufer geben, aber die Matratze bewegte sich nicht. Es war wie mit dem Trampolin. Die Dinge der materiellen Welt spürten Iris’ Körper nicht, ihre Kraft, ihr Gewicht, all das existierte nur für Lenz. Sie versuchte es noch einmal, sie war so grimmig entschlossen wie Amy und genauso erfolglos.
    »Du musst mich sehen«, sagte Iris eindringlich zu Amy. »Wenn du mich siehst, geht es. Wenn du glaubst, dass ich da bin …«
    Lenz sah die Verzweiflung auf Iris’ Gesicht, und er spürte die gleiche Verzweiflung in sich.
    Iris, dachte er, versuchte – in diesem Sommer zum ersten Mal – zu entkommen. Sie ahnte, dass Lenz nicht für immer ihr Spielgefährte sein würde, und sie suchte einen neuen, ein Kind; jemanden, der dafür sorgen konnte, dass sie weiterlebte. Der Gedanke brannte hinter seinen Augen.
    Er wollte rufen: Lass es, Iris, du musst das nicht! Komm zurück zu mir! Ich bleibe doch, ich bleibe!
    Aber er rief nicht. Er duckte sich hinter die Reling. Es war besser, wenn Amy ihn nicht sah.
    Schließlich ließ sie sich von der Luftmatratze ins Wasser fallen, strampelte einen Moment mit Armen und Beinen, als wollte sie schwimmen, und merkte dann, dass sie natürlich noch immer stehen konnte. Sie watete an Land, die Matratze im Schlepptau, verbissen, frierend und sehr ärgerlich. Iris watete neben ihr her. Sie waren wirklich gleich groß, obwohl Amy ein oder zwei Jahre jünger war; Iris war immer klein gewesen für ihr Alter. Sie legte einen Arm um Amys Schultern, doch Amy spürte den Arm nicht, und da gab Iris auf und tauchte weg wie zuvor Jackie.
    Ihr blaues Kleid verschwand, als löste es sich im Wasser auf. Lenz winkte ihr nach, doch sie kam nicht zu ihm, um sich trösten zu lassen, sie blieb verschwunden, und er blieb in Aljoschas Boot allein zurück – mit einem Gefühl der Leere.
    Amy schaffte es erst nach ein paar Versuchen, sich auf den Steg zu ziehen. Sie rollte den nassen rosa Badeanzug herunter und suchte in ihren Sachen, fand ihr T-Shirt und drückte es zitternd an ihr Gesicht. In dem Augenblick, in dem sie das T-Shirt sinken ließ, sah sie Lenz. Es war zu spät, um sich wieder hinter die Kajüte zu ducken. Sie sahen sich an, so wie Kaminski und er sich in der Nacht angesehen hatten, und der Moment war genauso seltsam.
    Doch in Amys Augen stand nur ein einziges Gefühl: Angst.
    Sie sah an sich hinunter, als versuchte sie, ihren nackten Kinderkörper mit seinen Augen zu sehen. Er wollte etwas

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