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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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waren alle da:
    Frau Hartwig und die Kuchenfraktion aus identisch aussehenden Frauen, der Umbrich, die beiden Fischer, Amy und Jackie, die links und rechts der Katzenfrau saßen – sie hatte schützend einen Arm um jedes Kind gelegt –, Werter und Kaminski, sogar die Professorenfamilie, die vermutlich aus der Stadt gekommen war, um die Sturmschäden in ihrer Datsche aufzuräumen, obwohl sie nichts von der eigentlichen Seltsamkeit des Sturms gemerkt hatten. Das glückliche Kind aß Kekse.
    Die anderen lauschten den Worten des Pfarrers. Sie saßen in den alten, unbequemen Holzbänken, manche von ihnen zum ersten Mal, und hörten zu, wie er über Stürme und Zerstörung sprach, über Sintfluten und Prüfungen. Lenz hörte die Unsicherheit in seiner Stimme, die Unsicherheit hinter den großen Katastrophen der Welt.
    Siri war, mit dem Pfarrer in ein Gespräch über Fensterfarben verwickelt, neben ihm nach vorn gegangen, und da saß sie jetzt, ganz allein in der ersten Reihe, er sah ihre schmalen Schultern unter dem geblümten Mantel und ihr kurzes braunes Haar. Ihr Gesicht sah er nicht. Er selbst war hinten geblieben, es erschien ihm richtiger, hinten zu bleiben. Die Bänke in der ersten Reihe waren auch nicht bequemer als die in der letzten. Auf der anderen Seite der letzten Reihe, ganz rechts, saß Annelie. Beinahe genau über ihr befand sich das sechste Fenster.
    Er nickte ihr kaum merklich zu, aber sie sah sein Nicken nicht, sie sah den Pfarrer an, der mit ausgebreiteten Armen vor seinem Altar stand und den Regen in seinen Handflächen zu spüren schien.
    »Vierzig Tage und vierzig Nächte«, sagte er. »Vierzig Tage und vierzig Nächte regnete es ohne Unterlass … vielleicht stürmte es auch, ähnlich wie hier. Die Bäume zerbrachen und fielen ins Meer, und nur die Arche schwamm. Auf der Arche …«, er warf einen Blick in die Runde, »auf der Arche mussten alle zusammenhalten. Freund und Feind, Löwe und Kaninchen. Alle zusammen gegen die Gewalten der Natur.« Er ließ die Hände sinken und sah sich um. »Dieses Dorf«, sagte er, »ist verletzt vom Sturm. Wie eine Sintflut hat der Sturm gewütet … viele unter Ihnen haben lange ihre Gärten gepflegt, Orte der Erholung, Orte des Friedens. Orte mit …«
    »Kartoffeln«, sagte jemand laut und ohne jede Ironie, und der Pfarrer verstummte für einen Moment, irritiert.
    »Ja«, fuhr er fort und begriff, dass er von Praktischerem sprechen musste. »Kartoffeln. Die Kartoffeln sind natürlich noch in der Erde, aber der Sturm hat die Obstbäume geknickt, Äpfel, Birnen, Pflaumen, eine ganze Ernte ist dahin. Und wir sehen uns an und fragen: Woher kam der Sturm? So, wie Noah gefragt hat: Woher kam all das Wasser bei der Sintflut? Hat Gott den Sturm geschickt, um Böses zu zerstören oder um uns zu prüfen? Aber es ist nicht an uns, Fragen zu stellen. Stattdessen sollte alle Zerstörung, alles Unglück uns als Gruppe fester zusammenschweißen, wir müssen Seite an Seite stehen, zueinander halten, wie Noah und die Tiere auf dem Schiff … die Gemeinschaft wird am Ende gestärkt hervorgehen aus den Schatten von Gottes Prüfungen.«
    Lenz sah von einem zum anderen, während der Pfarrer weitersprach, und obwohl er nur ihre Rücken sah, wusste er, was sie dachten: Der Pfarrer sprach nicht vom Sturm. Er hatte gemerkt, dass etwas nicht stimmte in diesem Dorf. Ihm war klar, dass es zu viele Beerdigungen gab. Er spürte die Schatten. Aber dort endete sein Verständnis. Er war jung und wollte etwas tun, etwas ändern, seinen Gott in die dunklen Ecken der Welt tragen, damit er dort leuchtete. Aber es gab Orte, dachte Lenz, da erstickte selbst ein Gott am staubigen alten Misstrauen, das mit den Nebeln aus den Gemüsebeeten stieg, er verpuffte und hörte ganz einfach auf zu existieren. Und alle guten Intentionen verwandelten sich in Kuchenrezepte. Und alle Segnungen in Schlaglöcher. Und alle Gebete in lauschende Ohren und flüsternde Münder.
    Lenz sah zu Siri hin. Er wünschte, er hätte mir ihr über den Pfarrer lachen und über den nicht existenten Gott sprechen können, aber sie war sehr weit weg, und sie drehte sich kein einziges Mal zu ihm um.
    Es ist merkwürdig, dachte er, zuerst sind wir langsam aufeinander zugeglitten, unaufhaltbar … und nun gleiten wir genauso langsam und unaufhaltbar auseinander. Wir sind schon wieder an dem Punkt, an dem wir uns nicht mehr wirklich kennen.
    Du versuchst, langsam zu gehen. Wegzusickern, sodass ich es gar nicht merke, wenn der

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