Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
Vom Netzwerk:
Schultern. »Aber es sieht so wunderbar aus, wie sie springen! Manchmal …« Sie sah ihn an. »Manchmal wünschte ich, ich wäre so wie diese Kinder.«
    »Oh, wünsch dir das nicht«, sagte Lenz, »guck dir das Haus an, den lila Keramikfrosch und den überquellenden Aschenbecher, und wünsch dir das nicht.«
    Iris antwortete nicht, sie starrte noch immer die Kinder auf dem Trampolin an.
    Lenz drückte sein Gesicht gegen den Zaun wie sie. Doch, es sah verlockend aus, wie die beiden Kinder dort in die Höhe sprangen, unbesorgt und, für Momente, schwerelos.
    »Wetten!«, rief der Junge. »Wetten, du traust dich nicht, einen Salto in der Luft zu machen?«
    »Trau ich mich wohl!«
    Lenz sah die rosa gefärbten Strähnen im Haar des Mädchens fliegen, er hörte den Jungen lachen. Wenn dieser Junge die Straße zwischen den niedrigen Häusern entlangging, dachte Lenz, kehrten ihm die Leute sicher nicht den Rücken zu, und er hörte sie nicht tuscheln, wenn er vorüber war.
    Die Fenster des roten Hauses waren erleuchtet, und an einem von ihnen stand der Schattenriss einer Frau – die Mutter der Kinder, natürlich. Er kannte sie und kannte sie nicht. Sie war jung, fünfzehn oder zwanzig Jahre jünger als Lenz. Er hatte ihren Namen vergessen. Sie tat irgendetwas mit ihren Haaren, er sah ihre über den Kopf erhobenen Arme, ihre schwarze Silhouette, und fragte sich einen Moment lang, verunsichert, ob sie nackt war. Aber als sie kurz darauf aus der Haustür trat, trug sie nur ein sehr enges Oberteil. Sie rief etwas nach hinten in den Hof, sprach mit jemandem, den Lenz nicht sah. Und dann kam sie zum Zaun. Erst als sie vor ihm stand, wurde ihm klar, dass er der Grund dafür war.
    Sie stand da, einen halben Meter kleiner als er, mit verschränkten Armen.
    »Versuchen Sie, meinen Kindern Angst zu machen?«, fauchte sie.
    Lenz trat einen halben Schritt zurück.
    »Ich habe ihnen nur zugesehen«, sagte er ruhig.
    Seine Ruhe schien die Gereiztheit auf der anderen Seite des Zauns noch zu potenzieren.
    »Ich werd Ihnen was sagen«, zischte die Frau. »Suchen Sie sich woanders Kinder, denen sie zusehen können! Ich weiß schon, warum ich blickdichte Vorhänge im Bad habe. Wenn Sie Ihre dreckigen, erdigen Pfoten nach meinen Kindern ausstrecken, dann …«
    Lenz sah seine Hände an und trat noch einen Schritt zurück.
    Die Kinder standen jetzt still, das Trampolin wippte nur noch leise.
    »Sie glauben, ich hab Angst vor Ihnen«, flüsterte die junge Frau. »Ich bin allein mit den Kindern, weiß ja jeder, dass mein Mann auf Montage ist. Aber er kommt wieder, der Dirk, im Juli kommt er, und dann bleibt er mal für länger. Übrigens sitzt der Andreas hinten im Hof, und der ist ganz schlecht auf Sie zu sprechen, seit der Sache mit dem Dach.«
    Sie schüttelte sich und schlang ihre Arme um den schmalen Körper, wie um sich vor dem Unheimlichen zu schützen, das sie nicht verstand. Den Gerüchten darüber, warum jemand vom Dach fiel, der sonst nie Dächer betrat.
    Lenz brauchte einen Moment, bis er begriff, wer Andreas war.
    »Kaminski?«, fragte er. »Was tut der junge Kaminski bei Ihnen?«
    »Hat mir geholfen, das Garagentor zu reparieren. Is ja ’n Freund von meinem Dirk … der Andreas ist viel hier, ich bin gar nicht so allein, wie Sie denken! Das letzte Mal, wo der Dirk weg war auf Montage, da waren es zwei Monate, jetzt sind es sechs …« Ihre Stimme verebbte. »Geht Sie einen feuchten Dreck an, wie lange der Dirk weg ist.«
    »Ich habe gar nicht gefragt«, sagte Lenz.
    Und auf einmal überwand sie ihre Angst, überwand den letzten Schritt, der sie noch vom Zaun trennte, und griff von innen in die grünen Plastikdrahtmaschen.
    »Hauen Sie ab!«, schrie sie. »Hören Sie auf, mich so anzugucken, das ist ja, als hätte man nichts an! Jetzt gehen Sie doch endlich! Gehen Sie … dahin, wohin Sie eben hingehen … zum Friedhof … reden Sie mit ihren Toten, aber lassen Sie uns in Ruhe!«
    Lenz nickte, drehte sich um und ging.
    Als er sich einmal umdrehte, sah er sie noch da stehen, am Zaun, die Hände jetzt vors Gesicht geschlagen. Vom Hof her kam Kaminski, vermutlich um zu fragen, was los war, die Bierflasche in der Hand. Als er einen Arm um sie legte, trat noch jemand an den Zaun; von außen. Jemand, der hinter Lenz die Straße entlanggekommen war, vielleicht zufällig.
    Die Fensterfrau.
    Sie stand da, in ihrem geblümten Regenmantel und ihren roten Gummistiefeln, und wirkte drei Tonnen leichter als ihre Umgebung. Er hörte sie

Weitere Kostenlose Bücher