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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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nicht hier«, sagte Iris. »Annelie hat ihnen gesagt, dass du nicht hier bist. Keiner weiß, wo du bist, aber hier nicht.«
    »Aber irgendwann kriegen sie mich ja doch!«, sagte Lenz. »Irgendwann stellen sie ihre Fragen.«
    »Dann solltest du verschwunden bleiben, bis Irgendwann vorüber ist.«
    Er ging zu ihr, wollte sie an den Schultern nehmen und schütteln und ließ es dann. »Nein, Iris. So funktioniert die Welt der Erwachsenen nicht. Das ist kein … kein Spiel! Das ist nicht Räuber und Gendarm! Und Irgendwann ist nie vorüber.«
    †   †   †
    Siri presste den Hörer des roten Telefons so fest an ihr Ohr, dass es wehtat. Mit der anderen Hand zerknüllte sie das allerletzte Papier der allerletzten Tafel schwarzer Schokolade. Es war keine mehr da. In der Streublümchenkanne stand ein letzter, lange schon kalt gewordener Rest Tee. Die Muschelsammlung auf den Fensterbrettern war dabei, einzustauben und ihre makellose Weißheit zu verlieren, und die Blumen in der Vase ließen die Köpfe hängen. Sie musste neue pflücken, dringend. Sie musste die Geborgenheit erhalten, die Behaglichkeit des Zimmers, sie durfte die Kälte nicht hereinlassen …
    »Wo warst du?«, flüsterte sie in den Hörer. »Ich versuche seit zwei Tagen, dich zu erreichen. Du hast nicht abgehoben. Ja, ja natürlich hast du auch deine Arbeit … alles überschlägt sich hier. Ich werde zurückkommen, früher, als ich dachte. Ich habe die Gläser jetzt, sie sind geliefert worden, und ich bin dabei, sie zuzuschneiden. Ich habe die letzten beiden Tage gearbeitet wie eine Wahnsinnige. Meine Hände sind wund. Ich muss das fertig kriegen, ich muss hier weg. Es ist noch jemand gestorben … gestorben worden … eine der Frauen aus dem Dorf. Sie ist die Klippen hinuntergestürzt, ganz nah bei der Stelle, wo ich einmal hinuntergeklettert und abgerutscht bin … ja, natürlich, das kann sein, und es war frühmorgens, es war nebelig … aber es kann genauso gut sein, dass jemand nachgeholfen hat. Sie hatte eine helle Jacke an. Ähnlich wie mein Mantel. Sogar mit etwas wie Blumen darauf. Jemand hat uns verwechselt, ich bin mir sicher. Nein, ich bin nicht paranoid. Jemand hat versucht, mich da hinunterzustoßen. Und dreimal darfst du raten, wer seitdem untergetaucht ist. Wie? Ganz genau. Lenz Fuhrmann. Das Friedhofskind.«
    Sie lauschte eine Weile ins Telefon, lachte einmal kurz auf, spielte mit der altmodisch gekringelten Telefonschnur. »Die Sache ist«, sagt sie schließlich, »ich war da. Verstehst du? Ich bin an dem Morgen bei den Klippen spazieren gegangen. Im Nebel. Ob ich …« Sie lachte wieder, aber sie hörte selbst, dass es nicht fröhlich klang. »Klar, natürlich, ich habe Frau Henning umgebracht. Sonst habe ich auch nichts zu tun. Hör mal, darüber macht man keine Witze. Du nimmst mich nicht ernst. Du bist wie mein Vater. Dabei bin ich seinetwegen hier … was? Nein, das erkläre ich euch, wenn ich wieder zurück bin.« Sie strich mit dem Zeigefinger über den Körper des roten Telefons, malte eine Spur in die klebrige Staubschicht. »Ja. Vielleicht ist es gut, nicht ernst genommen zu werden. Besser als zu ernst. Ja. Ich dich auch.«
    Aber als sie den Hörer auflegte, war so vieles nicht gesagt worden.
    »Ich habe versucht, mit ihm zu schlafen«, flüsterte sie, vergewisserte sich, dass der Hörer wirklich aufgelegt war, und atmete auf. »Es hat nicht funktioniert, weißt du. Es war … lächerlich. Peinlich. Aber deshalb geht er nicht hin und versucht, mich umzubringen.«
    Sie ging in die Werkstatt hinüber und kniete sich zwischen die Gläser auf den Fußboden. Die Werkzeuge waren scharf, sie sah ihre Schneiden und Spitzen glänzen. Ein Werkstattkeller voller tödlicher Klingen.
    Sie setzte nur die einzelnen kleinen Teile der Fenster hier drinnen zusammen. Die Fenster selbst würde sie draußen zusammenfügen müssen, vielleicht direkt bei der kleinen Kirche, auf dem Friedhof. Das Friedhofskind würde ihr nicht dabei zusehen.
    Das Friedhofskind war verschwunden.
    Sie war beim Haus der Fuhrmanns gewesen. Winfried hatte vor dem Fernseher gesessen. Nein, hatte er gesagt, er brauche nichts. Annelie käme jetzt ab und zu vorbei, um ihm zu helfen. Und er wisse auch nicht, wo Lenz sei. Vielleicht nicht mehr im Dorf. Warum sie das wissen wolle?
    Sie arbeitete bis zum Abend, und die Wunde am Bein, auf der sie kniete, schmerzte so lange, bis sie die Schmerzen nicht mehr bemerkte.
    Dann floh sie aus der Kellerwerkstatt, rannte den Weg

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