Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Appel
Vom Netzwerk:
funktionieren. «[…] Hier wird […] mit einem Male die Aufgabe der modernen Kunst deutlich: Stumpfsinn oder Rausch! Einschläfern oder betäuben! Das Gewissen zum Nichtwissen bringen, auf diese oder die andre Weise!» «Wer die Kunst befreien, ihre unentweihte Heiligkeit wiederherstellen wollte, der müßte sich selber erst von der modernen Seele befreit haben; nur als ein Unschuldiger dürfte er die Unschuld der Kunst finden, er hat zwei ungeheure Reinigungen und Weihungen zu vollbringen.» «Daß wahre Musik ein Stück Fatum und Urgesetz ist» , bleibt von der Kritik unbenommen. Sein Leben lang wird Nietzsche, der Denker, von der Macht der Musik, vor allem Wagners Musik, eingenommen, ja ihr verfallen bleiben, so dass er sich geradezu einer diätetischen «Enthaltsamkeit» zu befleißigen hat, um seinen hochsensiblen Organismus zu schützen. Doch dieses Verfallensein darf nicht in einer Kunstreligion münden, einer Lüge wider besseres Wissen, nachgerade im narkotisierenden Sinn. Das Denken muss weitergehen: konsequentes, redliches, modernes und radikales Denken aus der unbestechlichen Diagnose der Zustände heraus. Zugespitzt formuliert, hat Nietzsches Verfallensein an Wagners Musik seine Freigeistigkeit initiiert, sie aus der Taufe gehoben und aus dieser Befreiung heraus erst möglich gemacht. Es sind die kommenden Jahre, die den Übergang und damit den Abfall von seinem wichtigsten Weggefährten, der auch ein Übervater war, dokumentieren. Alle Stichworte und Ansätze seiner späteren polemischen Wagner-Kritik unmittelbar vor dem Zusammenbruch tauchen jetzt, im Vorfeld der Wagner-Schrift, die als Propagandaschrift vor der Eröffnung der ersten Bayreuther Festspiele angelegt war, in seinen Notizbüchern auf: Effektheischerei, Dilettantismus, Wagner als Schauspieler, das «Präsumptuöse» an ihm, das Tyrannische, Musik im Zusammenführen aller Einzelkünste zur großen Idee eines «Gesamtkunstwerks» nur als ein Mittel des Ausdrucks gesehen, also sozusagen nur als Mittel zum Zweck, was im Tiefsten auf einen musikalischen Mangel hindeute – «nicht nur Musik» , wird er später urteilen, der von Wagner abgefallene Denker, «so spricht kein Musiker» –, niedere Sinnenreize mit musikalischen, dramaturgischen und optischen Mitteln, «das Bewegtsein um jeden Preis» , Wagners Antisemitismus, seine dubiosen politischen Parteigängereien und Wandlungen schließlich, seine diversen Lebensfluchten und hingeworfenen Angelegenheiten, auch das Unbefriedigtsein, das er dem Zeitalter anlastet. «Naturalismus. Rechnung auf den Affect. Auf das grosse Publikum» , notiert Nietzsche. «Wenn Goethe ein versetzter Maler, Schiller ein versetzter Redner ist, so ist Wagner ein versetzter Schauspieler.» Zum richtigen Schauspieler fehlten ihm aber Gestalt, Stimme, Beschränktheit; seine Begabung sei gehemmt und versetzt. «Die Jugend Wagner’s ist die eines vielseitigen Dilettanten, aus dem nichts Rechtes werden will.» Und: «Keiner unserer Musiker war in seinem 28ten Jahr ein noch so schlechter Musiker wie Wagner.» Nietzsche versteigt sich sogar zu der Bemerkung: «Ich habe aber selbst in den letzten Jahren zwei oder dreimal den unsinnigen Zweifel in mir gefühlt, ob Wagner überhaupt musikalische Begabung habe.» Der dionysische Künstler hat schließlich auch seine künstlerischen wie persönlichen Schattenseiten: «Unmässigkeit und Schrankenlosigkeit galt ihm wohl als Natur.» «Das erste Problem Wagner’s ‹warum bleibt die Wirkung aus, da ich sie empfange?› Dies treibt ihn zu einer Kritik des Publikums, des Staates, der Gesellschaft. Er setzt zwischen Künstler und Publikum das Verhältniss vom Subject und Object – ganz naiv.» Besonders schonungslos geht Nietzsche mit Wagner ins Gericht, wenn er die Frage beantwortet, wie der Maestro sich seine Anhänger schuf. Da waren zunächst die Sänger, die als Dramatiker interessant wurden und die es infolge einer möglicherweise nur mittelmäßigen Stimme sonst zu keinen großen Ehren gebracht hätten. Da waren die Musiker, die bei dem Meister die Vortragskunst lernten, und während der Vortrag genial war, drang er zu keinem Bewusstsein des Werks. Auch die Orchestermusiker wurden zu Anhängern Wagners, die sich früher im Theater gelangweilt hatten und nun Feuer und Flamme waren angesichts all der Bombastik, die sie zu sehen und hören bekamen. Sämtliche Mitwirkenden zählten darunter, die an der Berauschung beteiligt waren. Und dann schließlich: «Alle Arten von

Weitere Kostenlose Bücher