Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
Verurteilung und gleichsam die Richtstätte aller Verdammten sein?›» Die Frage stellt sich bei allem nun doch, ob diese Weltsicht nicht auch idealistisch ist: Heraklits Weltenspiel unter Dikes gerechtem Gesetz oder Nietzsches ewige Wiederkehr mit der Erfüllungsverheißung im Augenblick – was ist das anderes als eine neue Metaphysik, nachdem die alte zerstört worden ist (ganz im Sinne der Widerstreitvorstellung)? Nietzsches Metaphysik aber wird eine sein, die in der Physik aufgeht, nicht in der Moral.
Nietzsche hatte bei der Grundsteinlegung zum Bayreuther Festspielhaus 1872 eine Frau kennengelernt, die auch in dickleibige Nietzsche-Biographien nur als «mütterliche Freundin» eingegangen ist, während ihre eigene Bedeutung als Intellektuelle, Schriftstellerin, Aktivistin der 48er-Revolution, Demokratin und Frauenrechtlerin mit einer überaus profunden Wandlungs- und Wirkungsgeschichte nahezu unerwähnt bleibt. Es handelt sich um Malwida von Meysenbug, eine kämpferische und beredte Zeugin der Zeit. 1816 geboren, war sie eine Generationsgenossin von Richard Wagner, mit dem sie auch das politische Engagement der 48er-Jahre verband. Nietzsche, der Spätgeborene, würde dieses Engagement nie verstehen, dem die Reaktion im Anschluss an diese Jahre ein desillusionierendes Ende bereitete. Die Aktivisten und Idealisten von einst gingen auf unterschiedliche Art damit um. Mit Wagner, den sie nach einer ersten ungünstigen Begegnung in London fünf Jahre zuvor 1860 in Paris wiedertraf, fand sich Malwida, eine Verehrerin seiner Musik schon seit einigen Jahren, nun nach der fehlgeschlagenen Revolution auch in der Kulturprogrammatik, dem Kunstideal, und, vermittelt von ihm, in der Schopenhauer’schen Philosophie. Man muss die leidenschaftliche Aufnahme des Schopenhauer’schen Pessimismus in jenen Jahren vor dem Hintergrund all dieser fehlgeschlagenen Hoffnungen sehen, als zum zweitenmal in der ersten Hälfte eines Jahrhunderts demokratische und liberale Bestrebungen in finsterster Reaktion endeten. Von Resignation über politische Indifferenz, Radikalisierungen bis hin zu einem unpolitischen Ästhetizismus reichte das Spektrum der Reaktionen bei den Kämpfern von einst.
Malwida war das neunte von zehn Kindern des Hofmarschalls des Hessischen Kurfürsten in Kassel. Früh löste sie sich aus ihren Begrenzungen, aber auch aus den Privilegien ihrer Standesgenossen. Ihre Begeisterung für die revolutionären Bestrebungen entfremdete sie von ihrer wertkonservativen Familie, mit der sie schließlich im Alter von 34 Jahren aus dieser Konsequenz heraus brach. Sie brach noch mit anderen Bindungen, Lebens- und Denkformen, liebgewordenen Daseinskonstanten, denn ihr Streben nach Konsequenz und Wahrhaftigkeit machte die Brüche und Trennungen gleichsam zur Handlungsvoraussetzung. Für Friedrich Nietzsche, den philosophischen Wahrhaftigkeitsradikalisten, aber im Leben so wenig Verwurzelten, der sich von seiner Schwester den Basler Haushalt führen und sich aus der Ferne von der Mutter maßregeln ließ, der sich nie ganz aus den Naumburger Verhältnissen löste und die eine Enge nur gegen die andere, nach dem Pastorenhaushalt und Schulpforta die der Universität, eingetauscht hatte und dem es jetzt graute vor dem einsamen Weg, den er vor sich sah, war diese Kämpferin eine mutmachende und beeindruckende Vorbildfigur. 1876 erschien ihre dreibändige Autobiographie «Memoiren einer Idealistin», von der Nietzsche nach der Lektüre noch wie benommen war. «Sie gingen vor mir her als ein höheres Selbst» , schrieb er ihr, «als ein viel höheres – aber doch mehr ermutigend als beschämend: so schwebten Sie in meiner Vorstellung und ich maass mein Leben nach Ihrem Vorbilde und fragte mich nach dem Vielen, was mir fehlt. Ich danke Ihnen für sehr viel mehr als für ein Buch. Ich war krank und zweifelte an meinen Kräften und Zielen; nach Weihnachten glaubte ich von allem lassen zu müssen und fürchtete nichts mehr als die Langwierigkeit des Lebens, das mit Aufgebung der höheren Ziele nur wie eine höhere Last drückt. Ich bin jetzt gesünder und freier, und die zu erfüllenden Aufgaben stehen wieder vor meinen Blicken, ohne mich zu quälen. Wie oft habe ich Sie in meine Nähe gewünscht, um Sie etwas zu fragen, worauf nur eine höhere Moralität und Wesenheit als ich bin Antwort geben kann! Aus Ihrem Buche entnehme ich mir jetzt Antworten auf sehr bestimmte mich betreffende Fragen; ich glaube mit meinem Verhalten nicht eher zufrieden
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