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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Appel
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Tritt, und ich ertappte mich hundertmal, aus der Welt der positiven Tatsachen heraus, auf dem Fluge ins Gebiet der metaphysischen Hypothese.» Nietzsche jedenfalls nahm sie als Wegbegleiterin und als geistige Wahl-Mutter an, als Geburtshelferin, Rat- und Schutzgebende. «Bleiben Sie mir, was Sie mir waren» , wird er ihr einmal schreiben, «ich komme mir viel geschützter und geborgener vor; denn mitunter überkommt mich das Gefühl der Einöde, daß ich schreien möchte». Die Lektüre ihrer Memoiren machte ihn endgültig zu ihrem Anhänger. Es gibt da eine Stelle in ihrer Lebensbeschreibung, die einige Parallelen aufweist zu der sinnfälligen Szenerie seines Zarathustra-Erlebnisses, wie er es philosophisch, literarisch und autobiographisch beschrieb. Die Hochgebirgsmetaphorik des Denkers, «6000 Fuß über dem Meer» , das Außerweltliche und die Todesnähe, wenn man sich in die Grenzbereiche des Denkens begibt, Öde, Kargheit und Aufhören der Vegetation – alles scheint hier in poetischer Sprache vorformuliert, wenn Malwida einen Besuch in einem Karthäuserkloster in einem Bergdorf oberhalb von Grenoble beschreibt. «Endlich kommt man an einen Punkt, wo alle Vegetation aufhört und wo wirklich Tod und Erstarrung herrschen. Ein riesiges Felsentor, Todestor benannt, führt in diese schauerliche Einöde hinein; so ungefähr mußte sich Dante sein Höllentor vorstellen, an dem jede Hoffnung zurückblieb. Einige Zeit nachher erscheint jedoch grünendes Leben wieder, und plötzlich findet man sich ganz erstaunt auf einem Bergplateau, in einer Höhe von 6000 Fuß über dem Meer, das ein Paradies nach der Hölle scheint. […] Der Mond erhellte die Einsamkeit der Berge und die ansehnlichen Gebäude des Klosters. Nach und nach versanken die flüchtigen Erscheinungen der Welt, die Phantasmagorien der Einbildungskraft, die ungestümen Wünsche wie in einen fernen Traum. Das Dasein schien nur noch in der reinen Idee, in der Abstraktion der Dinge zu bestehen und schwamm, wie ein elementares Fluidum, auf den silbernen Strahlen des nächtlichen Gestirns.»
    Malwida von Meysenbug nahm den «Fall Nietzsche» auf ihre Art in die Hand. Er ist dauerhaft krank, überfordert. Er muss ein Urlaubsjahr nehmen. Und er braucht eine Frau – reich, wenn es geht; sie wird versuchen, ihm eine zu finden. Seine Denkrichtung ist durch den Umgang mit Rée im Moment auf zu einschlägige Art positivistisch – muss korrigiert werden. Später, da strebt er ins Bodenlose, aber so weit sind wir noch nicht. Sie mietet ein Haus in Sorrent, Nietzsche ist eingeladen und so auch Paul Rée und zwei weitere Freunde. Letztendlich wird sie ihm auch bei seinem Entschluss, die Professur ganz aufzugeben, den entscheidenden Anstoß geben. Sie lebt ihm den Mut im Leben vor, den er nicht hat. Die Radikalität seines Denkens und seine mangelnde Vitalkraft führen zu einem unerträglichen Riss. Er lebt weltfern. Von den sozialen Realitäten, von denen die Meysenbug, selbst ja von Geburt eine mehr oder weniger Privilegierte, Einblick hielt und Bewusstsein gewann, um sie immer mit den Denkrichtungen in Verbindung zu bringen, hat Nietzsche nie irgendetwas gesehen. Nach wie vor sucht er den sicheren Hafen im äußerlich Hergebrachten, an Rückzugsorten, in möglichst asexuellen Beziehungen, und die Krankheit, die ihn zum dauerhaft Schonungsbedürftigen macht, hat ohne Zweifel auch Abwehrfunktion gegen die Welt. In Genf hat er eine junge Holländerin kennengelernt, und weil sie die englischen Romantiker gelesen hat und ein Gedicht von Longfellow kennt, das er nicht kennt, das sie ihm aber zitieren und übersetzen kann, kommt ihm spontan die Idee, diese sei als eheliche Weggefährtin geeignet. Er macht ihr einen ungelenken schriftlichen Heiratsantrag und reist umgehend ab. Sie solle ihm, fügt er hinzu, brieflich antworten, ob ja oder nein. Die Antwort der jungen Frau namens Mathilde Trampedach wird man sich vorstellen können. Nein, dachte Malwida da wohl, dieser Bursche braucht Nachhilfe. Auch Mutter und Schwester sahen sich nach einer Braut für ihn um, doch erfolglos, was Nietzsche letztendlich erleichtert haben dürfte. Bedeutungsvoll und zugleich auch prekär war die Mittelstellung der Meysenbug, da sie sowohl mit Nietzsche als auch mit Wagners befreundet war und den beginnenden Bruch zwischen beiden zweifellos spürte. Es war sicher kein Zufall, dass die von ihr angemietete Villa Rubinacci in Sorrent sich in direkter Nachbarschaft zum Feriendomizil der Wagners

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