Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
er, kam er nach Naumburg zurück, bar aller Pläne und außerstande, etwas allein zu unternehmen. «In Berlin war ich wie ein verlorner Groschen» , bemerkte er. Es war ein gefährlicher Zustand für jemanden, der sich mit dem Alleinsein schon abgefunden hatte und nun unmäßige Erwartungen in eine Verbindung setzte, die doch vonseiten der Frau mindestens ambivalent war, wenn nicht sogar mit latentem Abscheu verbunden. Am 26. Juni verwahrte er sich gegen ihren Verdacht, sie zu reinen Sekretariatsarbeiten gebrauchen zu wollen, und gestand ein: «Zuletzt, um die ganze Wahrheit zu sagen: ich suche jetzt nach Menschen, welche meine Erben sein könnten; ich trage Einiges mit mir herum, was durchaus nicht in meinen Büchern zu lesen ist – und suche mir dafür das schönste und fruchtbarste Ackerland.» Köselitz las: «[Lou] ist scharfsinnig wie ein Adler und muthig wie ein Löwe und zuletzt doch ein sehr mädchenhaftes Kind, welches vielleicht nicht lange leben wird.» Der Gedanke eines gemeinsamen Studienlebens in Wien war ihm jetzt ganz konkret. «Wir werden in Einem Hause wohnen und zusammen arbeiten; sie ist auf die erstaunlichste Weise gerade für meine Denk- und Gedankenweise vorbereitet.» Malwida, der er so dankte für die Vermittlung dieses Kontakts, erhielt am 13. Juli aus Tautenburg das Bekenntnis: «Ich wünsche in ihr eine Schülerin zu bekommen, und wenn es mit meinem Leben auf die Länge nicht halten sollte, eine Erbin und Fortdenkerin.» Das mehrwöchige Zusammensein mit intensivem Gedankenaustausch in Tautenburg/Thüringen war nun endlich für den August fest geplant. Allerdings lagen noch die Bayreuther Festspiele dazwischen, was für Nietzsche sehr heikel war, denn natürlich ging er nicht hin, aber seine Schwester ging hin, Lou ging hin, und Malwida ging hin. Das war äußerst verfänglich und sollte sich rückblickend auch als Stein des Anstoßes erweisen, denn das hässliche Gerede und die Intrigen, die Nietzsche, zu Recht oder zu Unrecht, im weiteren Verlauf dieser Verbindungen gegen sich spürte und die namentlich mit seiner auf Lou eifersüchtigen Schwester zusammenhingen, nahmen in Bayreuth ihren Anfang. Wagner habe sich in Gesellschaft negativ über Nietzsche geäußert, so Elisabeth Nietzsche, und Lou hätte dagegenhalten müssen, tat’s aber nicht – warum tat sie es nicht, Elisabeth, Cosimas Duzfreundin? Da waren die Wahnfried-Abende in der Villa der Wagners. Lou beschreibt, wie Richard Wagner infolge seines kleinen, ständig überragten Wuchses immer nur momenthaft in dem mit Menschen gefüllten Salon sichtbar war, doch wie ein aufschnellender Springbrunnen, während Cosimas Erscheinung sie durch ihre Größe über alle heraushob, an denen ihre endlos lange Schleppe vorbeiglitt – «zugleich sie förmlich einkreisend und ihr Distanz schaffend.» «Das ist Hegelei in Musik» , kommentierte Nietzsche Malwida gegenüber den «Parsifal», den er ja Gott sei Dank in seinem Tautenburger Rückzug versäumte, «und überdies ebenso sehr ein Beweis großer Armut an Erfindung als ein Beweis ungeheurer Prätension und Cagliostricität ihres Urhebers.» Der Urheber blieb aber doch ein ständiges Thema in seinem Leben, und nun kreiste er wieder die Damenwelt um sich, seine Damenwelt, die sich dem Bayreuther Affentheater anheimgab, während er, Nietzsche, im Thüringer Wald saß und Angst hatte, dass man schlecht über ihn sprach. Elisabeth hat es später so dargestellt, Lou habe in der Bayreuther Gesellschaft durchblicken lassen, Nietzsches Werk trage Spuren des Irrsinns – auch mit Rée habe sie dergleichen schon thematisiert. Lou Salomé hat sich entschieden dagegen verwahrt, solche Aussagen jemals getroffen zu haben. Doch Elisabeth, die sie dennoch kurz darauf nach Tautenburg zu ihrem Bruder begleitete, wo sie als Anstandsdame verbleiben sollte, aus den intensiven Gesprächen indessen allein schon durch ihren beschränkten Verstand, aber schließlich auch räumlich vollkommen ausgegrenzt war, entwickelte sich in der Tat zu einer «Todfeindin Lous» – so drückte Nietzsche es aus. Für Nietzsche brach bald darauf eine Welt zusammen, und in der Tat komprimierten sich hier alle Empfindlichkeiten und Schwachpunkte seiner Lebensgeschichte, seiner Veranlagung und seiner Mentalität: Wagner, die Bayreuther Kreise, die intrigante Dominanz seiner Schwester, die «Naumburger Tugend» , weibliche Subtilitäten, gegen die er ganz hilflos war, Liebesschmerzen und Freundesverrat und all das unter der
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