Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
Es handelt sich um heimliche Abschriften von Nietzsche-Notaten durch Fritz Koegel, der zeitweise im Nietzsche-Archiv arbeitete und die Exzerpte ohne Wissen und Erlaubnis Elisabeths anfertigte. Da heißt es also: «Ich habe nun ein paar Jahre wie ein zu Tode gemartertes Tier gegen meine Schwester mich gewehrt und geflüchtet, ich habe sie beschworen, mich in Ruhe zu lassen, und sie hat nicht einen Moment aufgehört, mich zu martern. Ich fürchtete mich, vorigen August deshalb nach Naumburg zu gehen, um nicht täglich mich an ihr zu vergreifen und beriet deshalb mit Overbeck. Und nun stellt sie sich hin und tut, als ob sie an nichts schuld sei! Ich weiß nicht, was schlimmer ist, die grenzenlose dreiste Albernheit meiner Schwester, einen Menschenkenner und Nierenprüfer wie mich über 2 Menschen belehren zu wollen, welche ich Zeit und Lust genug hatte, aus der Nähe zu studieren: oder die unverschämte Taktlosigkeit, Menschen unausgesetzt mit Schmutz vor mir zu bewerfen, mit denen ich doch jedenfalls ein wichtiges Teil meiner geistigen Entwicklung gemein habe und welche insofern mir hundert Mal näher stehen, als dieses alberne rachsüchtige Geschöpf. Mein Ekel, mit einer so erbärmlichen Kreatur verwandt zu sein. Woher hat sie diese ekelhafte Brutalität – woher jene verschmitzte Manier, rachsüchtig zu stechen?!» Nietzsche schaffte es nicht, sich vollständig von ihr zu lösen. Auch wenn das Vertrauensverhältnis zu Elisabeth nach der Lou-Episode nachhaltig gestört war, hatte sie à la longue doch wieder das Heft in der Hand. Nietzsches Zusammenbruch gab ihr schließlich die volle Verfügungsgewalt. Aber erst einmal hat er sich von ihr distanziert, was Elisabeth verdross. In der letzten Dezemberwoche entwarf Nietzsche ein nie versandtes Schreiben an Mutter und Schwester, worin es heißt: «Ich bringe es schlechterdings nicht mehr über mich, einen Brief aus Naumburg zu öffnen; und immer weniger sehe ich ein, wie Ihr das wieder gut machen wollt, was Ihr mir diesen Sommer angethan habt und dessen Nachwirkungen mich fortwährend treffen.» Fräulein von Salomé sei «Gewürm», ließ sich die Nietzsche-Schwester aus. Später hat Elisabeth noch die Version ausgebreitet, Lou sei ihm nachgelaufen, ihrem göttlichen Bruder, und das Gleiche tat sie dann, dieses unmoralische, aber bedauernswerte Geschöpf, auch bei Rée. Warum hat Nietzsche nie den Versuch unternommen, diese Schieflagen mit den beiden Frauen Lou und Elisabeth zu klären? Weil anscheinend etwas in seinem Innern an den Verrat glaubte, weil er sich leicht verraten und missverstanden fühlte von Menschen und weil der schöne Traum von der Seelenpartnerin ihn doch zu weit von seinem offenkundigen Schicksal entfernt hatte, woraufhin der Absturz und die unerbittliche Realität umso schrecklicher waren. Nietzsche bekannte, er habe Lou nach Tautenberg zu lieben begonnen, doch sie vereinige, zetert der Abgewiesene und von den Ereignissen nicht ganz Unbeeinflusste, sämtliche Eigenschaften in sich, die er verabscheue. Der «Heroismus der Erkenntnis» , an den er bei Lou geglaubt habe, sei nichts anderes gewesen als eine Art Abwechslungsgier des Intellekts, und auch er war für sie nur eine von vielen Stationen ihres unruhigen Geistes – möglicherweise das, was ihn am meisten an der Sache geschmerzt hat. «Einsame Menschen leiden fürchterlich an Erinnerungen» , schrieb er Malwida. «Liebe Freundin, giebt es denn nicht irgend einen Menschen auf der Welt, der mich liebt?» Der hilflose Mann, der sich nicht gegen Schwester und Mutter und gegen Geschwätz aller Art wehren konnte, fügte aber, sich ermannend, hinzu: «Beunruhigen Sie sich nicht – im Grunde bin ich Soldat und sogar eine Art ‹Tausendkünstler der Selbst-Überwindung› (So nannte mich kürzlich Freund Rohde, zu meinem Erstaunen).» Ein letzter Blick auf das hinter ihm Liegende offenbart: «Seltsam! Ich dachte, es würde mir ein Engel entgegengeschickt, als ich mich wieder den M[enschen] und dem Leben zuwandte – ein Engel, der Manches in mir lindern sollte, was durch Schmerz und Einsamkeit zu hart in mir geworden war, und vor allem ein Engel des Muths und der Hoffnung für Alles das was ich immer vor mir habe – Inzwischen war es kein Engel.» Es folgte der Zarathustra-Rausch in Rapallo, und er war das Werk eines Menschen, der die Hoffnung auf Liebesfreundschaft, Seelen- und Geistesgefährtenschaft und auf zwischenmenschliche Lebenserfüllung endgültig begraben hatte. Ob er den einsamen Höhen,
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