Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
, äußert einer seiner «höheren Menschen» , nämlich «der letzte Papst» , zu Zarathustra, welcher in der Tat einige Sympathie für diesen frommen Mann und redlichen Wahrheitssuchenden aufbringt und auch gestehen muss: «Ich liebe alle frommen Menschen.» Bei der Gottlosigkeit bleibt es nicht, wird es nicht bleiben, und auch in der Überwindung des Gottes lebt noch ein Gott.
In der «Fröhlichen Wissenschaft», wo Nietzsche auch erstmals seinen geheimnisvollen Gedanken von der ewigen Wiederkehr diskret, beinahe versteckt einführte, gibt es einen ergreifenden Aphorismus, der das volle Maß der Entsagung zum Ausdruck bringt beim Verlust des Gottesglaubens, der Religion. «‹Du wirst niemals mehr beten, niemals mehr anbeten, niemals mehr im endlosen Vertrauen ausruhen – du versagst es dir, vor einer letzten Weisheit, letzten Güte, letzten Macht stehenzubleiben und deine Gedanken abzuschirren – du hast keinen fortwährenden Wächter und Freund für deine sieben Einsamkeiten – du lebst ohne den Ausblick auf ein Gebirge, das Schnee auf dem Haupte und Gluten in seinem Herzen trägt, – es gibt für dich keinen Vergelter, keinen Verbesserer letzter Hand mehr – es gibt keine Vernunft in dem mehr, was geschieht, keine Liebe in dem, was dir geschehen wird, – deinem Herzen steht keine Ruhestatt mehr offen, wo es nur zu finden und nicht mehr zu suchen hat, – du wehrst dich gegen irgend einen letzten Frieden, du willst die ewige Wiederkehr von Krieg und Frieden: – Mensch der Entsagung, in alledem willst du entsagen? Wer wird dir die Kraft dazu geben? Noch hatte niemand diese Kraft!› – Es gibt einen See, der es sich eines Tages versagte, abzufließen, und einen Damm dort aufwarf, wo er bisher abfloß: seitdem steigt dieser See immer höher. Vielleicht wird gerade jene Entsagung uns auch die Kraft verleihen, mit der die Entsagung selber ertragen werden kann; vielleicht wird der Mensch von da an immer höher steigen, wo er nicht mehr in einen Gott ausfließt.» Unter dem Motto «Excelsior!» steht die Passage. Ein Bekenntnis Nietzsches rührt angesichts dieses entsagungsvollen Geschehens besonders, wenn er nämlich sagt: «Ich bin passioniert für die Unabhängigkeit, ich opfere ihr alles – wahrscheinlich weil ich die abhängigste Seele habe und an allen kleinsten Stricken mehr gequält werde als andere an Ketten.»
«Himmel! Was bin ich einsam!», rief er aus, als er wieder auf einer seiner italienischen Stationen war, um den Winter zu überstehen, fern von den Freunden von einst und von den Wirren eines zur Neige gehenden Jahres. Es war Anfang Dezember 1882. Am 20. konzipierte er einen Brief an Lou und Rée, der nicht mehr kommentiert werden muss und seine zutiefst verstörte Verfassung nicht deutlicher abbilden kann: «Beunruhigt Euch nicht zu sehr über die Ausbrüche meines ‹Größenwahns› oder meiner ‹verletzten Eitelkeit› – und wenn ich selbst aus irgend einem Affekte mir zufällig einmal das Leben nehmen sollte, so würde auch da nicht allzuviel zu betrauern sein. Was gehen Euch meine Phantastereien an! (Selbst meine ‹Wahrheiten› giengen Euch bisher nichts an) Erwägen Sie Beide doch sehr miteinander, daß ich zuletzt ein kopfleidener Halb-Irrenhäusler bin, den die lange Einsamkeit vollends verwirrt hat. Zu dieser, wie ich meine, verständigen Einsicht in die Lage der Dinge komme ich, nachdem ich eine ungeheure Dosis Opium – aus Verzweiflung – eingenommen habe. Statt aber den Verstand dadurch zu verlieren, scheint er mir endlich zu kommen.» Der schädliche Einfluss seiner missgünstigen Schwester auf die Ereignisse war ihm zeitweise so bewusst, dass er – die Mutter irgendwann eingeschlossen, die auch dummes Zeug redete – den Kontakt nach Naumburg ganz abbrach und anscheinend Erleichterung darüber empfand. Aber er würde das nicht dauerhaft durchhalten können. Die fatale Abhängigkeit dieses Mannes von der erstickenden Luft des Naumburger Frauenhaushalts, der schon lange nur noch aus Mutter und Schwester bestand, konnte schließlich nicht sinnbildlicher werden als in der endlichen Rückkehr des gestrandeten Kämpfers nach seinem kompletten Zusammenbruch in den Versorgungsraum dieser Frauen. Äußerst aufschlussreich sind hier die «Koegel-Exzerpte», die vom späteren Nietzsche-Archiv, von Elisabeth Förster-Nietzsche gegründet und von ihr kontrolliert, seinerzeit nie veröffentlicht wurden und die in dieser relativ kurzen Zeit der Distanznahme Nietzsches entstanden.
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