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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Appel
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zu Tränen und Liedern. Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde. Und als ich meinen Teufel sah, da fand ich ihn ernst, gründlich, tief, feierlich: es war der Geist der Schwere – durch ihn fallen alle Dinge.»
    Heiterkeit als Welterlösung – für den Denker Nietzsche, dessen Grundnatur und Mentalität dieser Herzensleichtigkeit wohl eher fernstand, die ihm aber gerade daher umso erstrebenswerter erschien, war auch das wohl antikes Erbe. Sie steht im Zeichen des zu überwindenden Christentums, gegen Weltverneinung und Leibfeindlichkeit, gegen lebenszersetzende Tugendbegriffe, gegen «Hinterwelten» und Jenseitsvertröstungen und für ein volles Bekenntnis zum Diesseits. Sie richtet sich auch gegen die Unbedingten, deren Herzen verhärtet sind und deren Geist nicht mehr frei ist, gegen Glaubenssätze und Lehrmeinungen, die Gewalt ausüben und die die Fülle des Lebens beschneiden. «Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man. Auf, laßt uns den Geist der Schwere töten!» Was er gelernt hat in seinem einsamen Rückzug, Zarathustra, der große Weise, das gibt er weiter als Welthaltung und als Lebensmodell: hinwegzutanzen über die überkommenen Werte und über alles, was dieser Welt ihre Lebendigkeit nimmt, JENSEITS VON G UT UND B ÖSE seinen eigenen Tanz aufzuführen, aus dem am Ende eine Selbstschöpfung wird. «Ich habe gehen gelernt: seitdem lasse ich mich laufen. Ich habe fliegen gelernt: seitdem will ich nicht erst gestoßen sein, um von der Stelle zu kommen. Jetzt bin ich leicht; jetzt fliege ich, jetzt sehe ich mich unter mir, jetzt tanzt ein Gott durch mich.» Wie dieser Tanz großer Einzelner aussehen wird, die die Werte und Tugenden eliminieren und ihre eigenen Setzungen schaffen, bleibt weitgehend ungesagt. Es ist eine elitaristische Vorstellung, kaum geeignet, darauf ein Modell mit gesellschaftlicher Relevanz aufzubauen. Selbst von den «höheren Menschen» , die Zarathustra als seine Jünger annimmt, werden einige ja immer wieder auch rückfällig und entsprechen nur unzureichend den hohen Anforderungen, die in einen solchen Entwicklungsweg zum freien Geist, gar zum «Übermenschen» gesetzt werden müssen. «Die heile, gesunde Selbstsucht, die aus mächtiger Seele quillt» und vieles andere mehr in dieser Richtung ist im Kern auch nicht ungefährlich. Es ist eine unverkennbare Tatsache, dass ein Beschwerter und Leidender, der sich mit dem kulturellen Ballast ganzer Epochen identifiziert, nicht zuletzt mit der Enge seines häuslichen Umfelds, die seine Lebenskräfte nachhaltig eingeschnürt hat, hier auf bedenkliche Weise in großen Rauschphantasien das Kind mit dem Bade ausschüttet, ohne den geringsten Gedanken daran zu verschwenden, wie Thomas Mann einmal äußerte – der indessen auch nicht mehr die Gnade der frühen Geburt hatte, sondern die Nazizeit und den Missbrauch der Nietzsche’schen Philosophie noch erlebte –, wie seine Lehre sich in politischer Wirklichkeit ausmachen würde. Es bedurfte nicht erst der Fälschungen seiner Schwester, um dieses Werk anfällig für diversen Missbrauch zu machen. Zwar hegt Zarathustra selbst auch die Angstversion, dass seine Lehre entstellt werden könnte – das Kind mit dem Spiegel, der ihm eine Teufelsfratze zeigt, weist darauf hin. Doch diese Angst hat der Prophet respektive sein Autor auch nicht zu Unrecht. Da sind etwa die Männlichkeitsphantasien des Friedrich Nietzsche, der schließlich selbst in den meisten männlichen Kategorien und Rollenvorgaben seiner Zeit kläglich versagt hatte. «Gelobt sei, was hart macht!» , beschwört Zarathustra, und: «Meine Brüder im Kriege!» Er serviert «Manns-Kost», «Krieger-Kost», «Eroberer-Kost», «Saft- und Kraft-Sprüche» (Nietzsches Magen vertrug zeitweise nur noch ungesalzenes, gekochtes Gemüse). In jedem echten Mann müssten die Sporen klingen, und verabscheuenswürdig seien alle leisetretenden Mannsfüße, die Zärtlinge, die um den Mond schlichen und im Winter gar noch einen Ofen benötigten (er selbst, Nietzsche, überwinterte in Italien in Ermangelung geldlicher Mittel, aber auch um seiner männlichen Ertüchtigung willen, jahrelang in nicht heizbaren Nordzimmern, mit klappernden Zähnen und blauen Fingern und ungeachtet der Überlegung, dass auch einige seiner Krankheitssymptome eventuell damit zu tun haben könnten, jedenfalls hat es die Sache sicher nicht besser gemacht). In Anlehnung an Heraklit wird auch im «Zarathustra» der Krieg von Nietzsche als Vater

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