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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Appel
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doch wenigstens hoffen, auch diese Wertsetzung, die die Welt in Hell und Dunkel einteilt nach den Vorgaben seines Namensvorgängers, denn das Leben ist ungeschieden und mächtiger als alle Einteilungen. «Mitternacht ist auch Mittag – Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch eine Sonne – geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr. Sagtet ihr jemals ja zu einer Lust? O meine Freunde, so sagtet ihr ja auch zuallem Wehe. […] So reich ist Lust, daß sie nach Wehe durstet, nach Hölle, nach Haß, nach Schmach, nach dem Krüppel, nach Welt –» Wie Jesus mit seinen Jüngern, so hat auch der alte persische Weise, den ein Naumburger Pfarrerssohn zweitausend Jahre danach und nach Christi Geburt zu einem neuen Verkündiger macht, zum Verkündiger einer gottlosen Zeit, das Problem, dass seine Anhänger, die schwach im Fleische sind (und auch im Geiste, wie man wohl annehmen darf), nicht mit ihm wachen oder rechtzeitig aufwachen können. Doch bevor er dann in der Morgenröte von dannen zieht, während die «höheren Menschen» noch schlafen, hat er ihnen sein mitternächtliches Lied dargeboten, «Zarathustras Rundgesang», sein Lied auf die Ewigkeit. Man findet es heute eingraviert in einen Felsblock auf der Chasté, der schönen Halbinsel des Silser Sees im schweizerischen Ober-Engadin, das Friedrich Nietzsche zur philosophischen Landschaft schlechthin gemacht hat. Und dort, an einem stillen Tag im August oder auch im Oktober, vormittags oder gen Mittag, bei hellem Sonnenschein, blauem Himmel und glatter Seeoberfläche, während sich Himmel, Bäume, Berggipfel und Felsen im bewegungslos glatten See spiegeln und ein überwältigend meditatives Doppelbild schaffen, möge man sich Nietzsches Gedanken vergegenwärtigen und das Lied, das «da Capo» des Lebens, das Zarathustra besingt.
    O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
‹Ich schlief, ich schlief –
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
Die Welt ist tief
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh –
Lust – tiefer noch als Herzeleid.
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit –
– will tiefe, tiefe Ewigkeit!›
    Friedrich Nietzsche in «Ecce homo» (1888), im Kapitel «Warum ich ein Schicksal bin»: «Ich kenne mein Los. Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung an etwas Ungeheures anknüpfen – an eine Krisis, wie es keine auf Erden gab, an die tiefste Gewissenskollision, an eine Entscheidung, heraufbeschworen gegen alles, was bis dahin geglaubt, gefordert, geheiligt worden war. Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit.» Wahrheit gegen die Lüge und gegen eine Lüge von Jahrtausenden, so beschreibt Nietzsche seine Mission. Eine «furchtbare Wahrheit» . Die «Umwertung aller Werte» als ein Akt höchster Selbstbesinnung der Menschheit. Der Verfasser hat angeblich Angst, dass man ihn eines Tages heiligsprechen könnte, und er verwahrt sich dagegen, denn Religionen sind «Pöbel-Affären». «Ich will kein Heiliger sein, lieber noch ein Hanswurst … Vielleicht bin ich ein Hanswurst …» Ein Hanswurst, der als Erster die Wahrheit entdeckt hat, da er die Lüge als Lüge entlarvte – da wäre er auch nicht der erste Schelm der Geschichte, der so etwas tat. «Mein Genie ist in meinen Nüstern» , so sagt er. Aber der Hanswurst und der Vollbringer einer großen Zerstörung, da alles Bisherige auf einem falschen Fundament aufgebaut war – das Haus Gottes vor allem –, bringt eine Frohe Botschaft, also die erste der Menschheit. «Ich widerspreche, wie nie widersprochen worden ist, und bin trotzdem der Gegensatz eines neinsagenden Geistes. Ich bin ein froher Botschafter, wie es keinen gab, ich kenne Aufgaben von einer Höhe, dass der Begriff dafür bisher gefehlt hat; erst von mir an gibt es wieder Hoffnungen. Mit alledem bin ich notwendig auch der Mensch des Verhängnisses. Denn wenn die Wahrheit mit der Lüge von Jahrtausenden in Kampf tritt, werden wir Erschütterungen haben, einen Krampf von Erdbeben, eine Versetzung von Berg und Tal, wie dergleichen nie geträumt worden ist.» Der Begriff Politik werde dann aufgegangen sein in einen Geisterkrieg, alle Machtgebilde der alten Welt, der alten Gesellschaft seien dann in die Luft gesprengt. «Es wird Kriege geben, wie es noch keine auf Erden gegeben hat. Erst von mir an gibt es auf Erden große Politik.» Vorboten des Größenwahns, maßlose Rauschphantasien oder gespenstische Anklänge an eine künftige Vereinnahmung seiner

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