Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Appel
Vom Netzwerk:
sagen kann. Dafür sei der «böse» Gott so notwendig wie der «gute» _ – verdanke man schließlich die eigene Existenz auch nicht gerade der Toleranz und der Menschenfreundlichkeit. Was läge an einem Gott, fragt der Kritiker, der nicht Zorn, Rache, Neid, Hohn, List und Gewalttat kennt und dem nicht einmal die entzückenden ardeurs des Siegs und der Vernichtung bekannt wären? Man würde einen solchen Gott nicht verstehen – wozu also sollte man ihn haben? Wenn ein Volk aber zugrunde gehe und keinen Glauben mehr habe an seine Zukunft, keine Hoffnung auf Freiheit (da es geknechtet ist durch die Herrschaft der Römer), dann erscheine ihm eben die Unterwerfung als erste Nützlichkeit, die Tugenden der Unterworfenen als Erhaltungsbedingungen, und folglich verändere sich auch sein Gott. «Er wird jetzt Duckmäuser, furchtsam, bescheiden, rät zum ‹Frieden der Seele›, zum Nicht-mehr-hassen, zur Nachsicht, zur ‹Liebe› selbst gegen Freund und Feind. Er moralisiert beständig, er kriecht in die Höhle jeder Privattugend, wird Kosmopolit …» «Der christliche Gottesbegriff _ – Gott als Krankengott, Gott als Spinne, Gott als Geist – ist einer der korruptesten Gottesbegriffe, die auf Erden erreicht worden sind; er stellt vielleicht selbst den Pegel des Tiefstands in der absteigenden Entwicklung des Götter-Typus dar. Gott zum Widerspruch des Lebens abgeartet, statt dessen Verklärung und ewiges Ja zu sein! In Gott dem Leben, der Natur, dem Willen zum Leben die Feindschaft angesagt! Gott die Formel für jede Verleumdung des ‹Diesseits›, für jede Lüge vom ‹Jenseits›! In Gott das Nichts vergöttlicht, der Wille zum Nichts heilig gesprochen! …»
    Ein Armutszeugnis sei es denn auch, dass das Christentum in zwei Jahrtausenden nicht einen einzigen neuen Gott hervorgebracht habe nach diesem ersten, armseligen des christlichen «Monotono-Theismus», der, so mutet es in Nietzsches Rundumschlägen an, nicht am Mitleid mit den Menschen gestorben ist, wie es der «Zarathustra» verbrieft, sondern eher noch am Mitleid mit sich selbst – «dies hybride Verfalls-Gebilde aus Null, Begriff und Widerspruch, in dem alle décadence-Instinkte, alle Feigheiten und Müdigkeiten der Seele ihre Sanktion haben! – –» . Paulus, der schlimme Finger, ein Giftmischer und Hassprediger ohnegleichen, habe die Erlöserlehre des Jesus von Nazareth in eine Macht-Lüge umgewandelt und dafür die Wiederauferstehung erfunden. Das diente ganz dem Erhalt der eigenen Priestermacht und war geeignet, die Massen zu tyrannisieren und Herden zu bilden, nicht den ursprünglichen Ansatz zu einer Friedensbewegung und einem nicht bloß verheißenen Glück hier und jetzt zu verwirklichen. «Wenn man das Schwergewicht des Lebens nicht ins Leben, sondern ins ‹Jenseits› verlegt – ins Nichts –, so hat man dem Leben überhaupt das Schwergewicht genommen.» Nun aber stellte sich in Deutschland der besondere Fall, dass die Deutschen nach Nietzsche Europa um die letzte große Kultur-Ernte gebracht haben, die zu gewinnen war: die Renaissance. Für Nietzsche war diese die Umwertung der christlichen Werte, ein schwungvoller, großer Versuch, den vornehmen Werten zum Sieg zu verhelfen. Und was geschah? Luther, ein deutscher Mönch, machte die Reformation. Für Friedrich Nietzsche ist das ein ganz empörender Fall der Geschichte, eine Koinzidenz, wie sie ungünstiger kaum verlaufen sein konnte, denn als das deutsche Mönchlein nach Rom kam, «mit allen rachsüchtigen Instinkten eines verunglückten Priesters im Leibe» , da war es das Rom der Borgias, das er dort antraf. Cesare Borgia, ein Generationsgenosse von Martin Luther, von dessen Typus man sich, sagt Nietzsche in «Ecce homo», den Übermenschen vorstellen müsse, war das Vorbild zu Macchiavellis Musterfürst in «Il Principe». Schön von Gestalt und von riesenhafter, gewaltiger Stärke, hinreißend beredsam, sinnlich und auch den Wissenschaften und Künsten gewogen, war er doch, jedenfalls nach seiner einschlägigen historischen Reputation, jeder Freveltat fähig: ein Machtpolitiker, wie er im Buch steht. Seine Schwester Lucrezia genießt einen fast noch berüchtigteren Leumund. Ebenfalls kunstsinnig und sehr gebildet, erging sie sich neben ihren machtpolitischen Interaktionen angeblich in vielfachen Ausschweifungen – darunter, so heißt es, mit ihrem Vater und ihren Brüdern. Dieser Vater der beiden vitalen Abkömmlinge war übrigens Papst – Sohn Cesare allerdings beherrschte ihn

Weitere Kostenlose Bücher