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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Appel
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seiner Schau vom Vernichtungsschlag des Jüngsten Gerichts – wenn alle Toten auferstehn, dann werde er in Nichts vergehn …!) Vulkanische Bilder und andere eruptive Visionen aus dem Bildfeld der Geologie folgen bei Nietzsche dem «Todkrieg» , dem «Dynamit» – als Motive wohl dankbarer und kontextueller, da es sich bei Kriegen und Sprengstoffanschlägen nicht um Naturereignisse handelt, sondern um Menschenaktionen. «Siegen wir» , schreibt er, «so haben wir die Erdregierung in den Händen – den Weltfrieden eingerechnet … Wir haben die absurden Grenzen der Rasse Nation und Stände überwunden, es giebt nur noch Rangordnung zwischen Mensch und Mensch und zwar eine ungeheure lange Leiter von Rangordnung. Da haben Sie das erste welthistorische Papier: Große Politik par excellence.» «Es wird Kriege geben, wie es noch nie Kriege gab –» schrieb er in einem Briefentwurf Anfang Dezember an Kaiser Wilhelm II. In einem mit «Der Antichrist Friedrich Nietzsche» unterschriebenen Brief dieser Tage, der ebenfalls nicht verschickt wurde, erwies er dem «ersten Staatsmann unserer Zeit» , Otto von Bismarck, «die Ehre» , ihm durch Überreichung des ersten Exemplars von «Ecce homo» die Feindschaft anzukündigen. Paul Deussen, der Jugendfreund, mit dem er sich wegen Schopenhauer entzweit hatte, gehörte nach einem rührenden Versöhnungsbesuch Deussens, den dieser dem «Einsiedler von Sils Maria» im Jahr zuvor abgestattet hatte, auch zu den letzten Korrespondenten und Adressaten in Nietzsches geistiger Endphase. Der Philosoph wollte seine sämtlichen Werke vom ungetreuen Verleger Fritzsch zurück haben und in neue verlegerische Hände legen, und zu diesem Behufe bat er Deussen um den gewaltigen Geldbetrag von zehntausend Talern. Da er sich einem Welterfolg und den entsprechenden Einkünften nahe wähnte, sah er in diesem Freundschaftsdienst kein Problem. Es war nicht mehr lange hin, nur einen Monat, bis er in einem Briefentwurf schrieb: «In zwei Jahren habe ich die höchste Gewalt in Händen, die je ein Mensch gehabt hat – ich will das ‹Reich› in einen eisernen Gürtel einschließen.» Niccolo Macchiavelli hat in Cesare Borgia auch einen Einheitsstifter Italiens gesehen.
    Friedrich Nietzsche, der sicher zu gern Renaissancefürst gewesen wäre, haderte mit seiner biologischen Abstammung doch bis zum Schluss, vor allem mit seiner Blutsverwandtschaft mit Mutter und Schwester, die er gewissermaßen als kosmischen Unfall darstellte und die sogar dazu angetan war, ihm seinen Gedanken der ewigen Wiederkunft ganz zu vergällen, denn das würde ja bedeuten, so erwog er mit Schrecken, wieder diese Mutter und diese Schwester zu haben. «Wenn ich den tiefsten Gegensatz zu mir suche» , ist in den erst 1972 von Mazzino Montinari aufgefundenen Stellen vom Jahresende 1888, die Elisabeth unterdrückt hatte, zu lesen, «die unausrechenbare Gemeinheit der Instinkte, so finde ich immer meine Mutter und Schwester, – mit solcher Canaille mich verwandt zu glauben wäre eine Lästerung auf meine Göttlichkeit.» Dabei musste er sich von Elisabeth schon lange nicht mehr bedrängt fühlen, denn die war ausgewandert nach Paraguay, nachdem sie den agitatorischen Antisemiten Bernhard Förster geheiratet hatte. Ihr eigener Aktivismus hatte in der unbefriedigenden Fernbetreuung des kranken Bruders, der in schweizerischen und italienischen Gegenden weilte und ihre Mühe und Sorge gar nicht zu schätzen wusste, kein ausreichendes Terrain mehr gefunden, und so war sie diese an Taten und Wirkungsfeldern so vielversprechende späte Ehe eingegangen. Förster war ursprünglich Gymnasiallehrer in Berlin und hatte die Nietzsche-Schwester, die er in Bayreuth kennenlernte, gebeten, Unterschriften zu sammeln für eine Petition an Reichskanzler Bismarck, um die Deutschen vor den jüdischen Bürgern zu schützen. Da ihm bald klar wurde, dass es für «reine Arier» immer schwieriger wurde, in Deutschland zu leben – enthob man ihn doch sogar seines Postens in Folge seiner ehrenvollen, aber offensichtlich verkannten Aktivitäten –, beschloss er die Gründung einer germanischen Kolonie in Paraguay, wohin Elisabeth, seine Angetraute, ihn im Februar 1886 begleitete. Dieser Schwager und seine Umtriebe waren für Nietzsche die letzte Bestätigung, dass seine Schwester «Canaille» war.
    Aber was kümmerte ihn schon die «Canaille»! Er war ja in Wirklichkeit Pole, Aristokrat, und er verkehrte mit Cäsar, Napoleon und Alexander dem Großen auf

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