Friesengold (German Edition)
des Schatzes einschätzen.«
»Auch das ist sehr schwer zu sagen. Schon der reine Materialwert ist ausgesprochen hoch, denn es kommen sicher ein paar Kilo zusammen. Den aktuellen Goldpreis können Sie der Zeitung entnehmen. Der historische Wert oder der Sammlerwert ist ungleich höher und kaum zu bewerten. Vielleicht ist Ihnen damit gedient, dass die 1999 gefundene Himmelsscheibe von Nebra mit 100 Millionen Euro versichert ist. Beide Artefakte lassen sich zwar nicht direkt vergleichen. Dennoch können Sie von einem ausgesprochen hohen Wert ausgehen.«
»Wäre denn der Schatz auf dem schwarzen Markt überhaupt zu verkaufen?«, fragte Greven.
»Mit Sicherheit«, antwortete Polder prompt. »Auch die Himmelsscheibe wurde auf dem schwarzen Markt gehandelt und fand sofort Interessenten. Reiche Sammler gibt es genug.«
»Ach ja, hat Sie jemand beobachtet, als Sie sich das Gold angesehen haben?«
»Mir ist niemand aufgefallen. Natürlich war ich nicht allein im Museum. Drei oder vier Besucher haben sich das Gold auch angesehen.«
»Gut, dann sollten wir wieder zurückfahren«, sagte Greven und ließ sich in die Polster zurücksinken. Während sich Mona den matten Glanz des Goldes von Polder näher erklären ließ, experimentierte Greven mit einigen Puzzleteilen, deren Motive an Schärfe gewonnen hatten.
Jemand hatte den Friesischen Adler durch eine ausgesprochen gute Kopie ersetzen lassen und wahrscheinlich zu Geld gemacht. Als möglicher Fälscher bot sich natürlich Onken an. Aber dann sah Greven den Auricher Goldschmied wie Polder ins Schlossmuseum gehen. Vielleicht hatte er seinen Besuch bei Talea von und zu Aldenhausen genutzt, um endlich einmal das berühmte Friesengold in Augenschein zu nehmen. Respektvoll hatte er sich vor dem Panzerglas aufgebaut und sich dem Adler gestellt. Zunächst hatte ihn die Fülle des Goldes überwältigt und geblendet. Doch dann hatte der Glanz, hatte die Farbe Zweifel in ihm geweckt, die ihn nicht mehr losgelassen hatten. Irgendwann hatte er diesen Zweifel jemandem anvertraut.
Damit aber gab sich Greven nicht zufrieden und fand noch in Monas Einfahrt eine andere Stelle, an der das Puzzleteil andocken konnte.
27
Sobald Christoph Kolumbus eine Insel in der Karibik entdeckte, sich an den Strand rudern ließ und dort auf überraschte, aber arglose Indianer traf, stellte er immer eine Frage: Wo ist das Gold? Denn der Spanier liebte Gold über alles. Fiel die Antwort negativ aus, bunkerte er noch etwas Wasser und Proviant und ließ Segel setzen. Am nächsten Strand wiederholte er seine Frage, die ihn bis an sein Lebensende trieb, die er wieder und wieder mit der Feder in sein Tagebuch kratzte, die er in Briefen Freunden und Gönnern offenbarte.
Die Frage ergriff auch Besitz von anderen Spaniern, die im Kielwasser von Kolumbus die Küsten der amerikanischen Kontinente erreichten. Pizarro, Cortés, de Orellana, de Quesada. Auch sie liebten das Gold. Suchten das Goldland El Dorado, pflügten auf der Suche nach dem Mythos halb Südamerika um, töteten Millionen. Gelang es Inkas oder Azteken, einen Konquistador zu fangen, fesselten sie ihn und flößten ihm geschmolzenes Gold ein. Die Goldesser sollten am Gold ersticken. Die grausame Strafe schreckte die Eroberer und Goldsucher nicht ab. Immer neue Gierige landeten an den Küsten, um sich und der spanischen Krone die Taschen zu füllen. Im Grunde waren doch die Konquistadoren die Erfinder der Globalisierung. Mit ihnen hatte doch die umfassende Plünderung des gesamten Planeten erst so richtig begonnen. Weltweiter Handel. Kolonien. Vertreibung. Mord. Im Namen eines Gottes, im Namen einer Idee, im Namen einer überlegenen Kultur. Aber insgeheim im Namen des Goldes, auf dessen Altar alles geopfert wurde. Bis heute. Die Kultur. Die Gesundheit. Die Humanität. Das Weltklima.
Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein, hatte Friedrich Nietzsche geschrieben. Ließ sich das nicht übertragen? Wenn du lange Gold anblickst, blickt das Gold auch in dich hinein. Das hörte sich gar nicht mal so schlecht an. Genau das hatte nämlich jemand im Schloss getan. Er hatte dem Friesischen Adler zu lange in die Augen geblickt, hatte ihm zu tief in die kalten, goldenen Pupillen geschaut. So lange, bis der Adler schließlich den Blick erwidert und einen neuen Konquistador gezeugt hatte. Für den es von nun an kein Halten mehr gab. Ein Getriebener wie Peter Lorre in M – Eine Stadt sucht einen Mörder .
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