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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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selbst verdutzt dabei zu. War eine ganze Weile her, dass ich so hatte weinen müssen. Ich hatte allerdings auch keinen Grund dazu gehabt. Falls ich das noch nicht erwähnt habe. Durch einen Tränenschleier sah ich, wie die Mädchen in den lila Gummistiefeln Tango tanzten.
    Der Fahrkartenverkäufer tätschelte mir unbeholfen das Handgelenk, dann nickte er mir aufmunternd zu.
    »Min Deern«, sagte er, »nu warten wir erstma ab. Komm heute Nachmittag wieder, nä? Auch dem dollsten Sturm geht irgendwann die Puste aus.«

9
    Keiner hatte mich fortgehen sehen. Dafür sahen sie mich alle zurückkommen, nass, zerzaust und verheult. Im Foyer warf Yvette mir einen verwunderten Blick zu, aber ich zerrte stoisch meinen Koffer hinter mir her und ignorierte alle Fragen, die sie nicht zu stellen wagte. Und dann lief ich kurz vor meinem Zimmer – und Anns Zimmer, wie ich mich grimmig korrigierte – auch noch direkt Bärbel und Ahimsa in die Arme.
    Und wenn ich Arme sage, dann meine ich das auch so. Die beiden standen an der breitesten Stelle des Flurs vor der Tür zum Treppenhaus, hatten sich gegenseitig die Hände auf die Schultern gelegt und machten etwas, das aussah wie eine Mischung aus Armdrücken und erster Tanzkursstunde. Es war unmöglich, ungesehen an ihnen vorbeizukommen. Schon gar nicht mit dem Koffer, dessen Räder eine nasse Spur auf dem Läufer hinterließen.
    »Moin«, sagte ich einsilbig und versuchte dreinzublicken wie der wortkarge Fahrkartenverkäufer. Leider nützte es nichts.
    Bärbel zeigte auf den Koffer und nickte mitfühlend. »Das stimmt für dich hier nicht so richtig, nä?«, fragte sie und nickte noch einmal, bis die Delfine an ihren Ohren einen aufgeregten Klimpertanz begannen.
    »Was stimmt nicht?«, fragte ich heiser zurück.
    »Sie meint, es ist nicht stimmig«, sagte Ahimsa, was Bärbel offensichtlich schon wieder an einem wunden Punkt erwischte.
    »Du, ich hab einen Mund, ja? Und eine Zunge!«, giftete sie ihn an. »Ich brauch keinen Dolmetscher.«
    Ahimsa schien das zu gefallen, er nickte vergnügt. »Ja, genau«, sagte er, »jetzt bist du in Kontakt mit deiner Wut. Komm wieder her, jetzt können wir das austanzen.« Er streckte ihr seine Arme entgegen, aber Bärbel verschränkte die ihren patzig vor der Brust. Dann deutete sie auf den Koffer.
    »Aber dann hast du’s dir anders überlegt?«, fragte sie mich.
    »Ich nicht. Das Wetter.« Ich seufzte. »Die Fähren fahren nicht. Also, das heißt, im Moment ist der Verkehr eingestellt, vorübergehend. Kann heute Nachmittag schon wieder alles ganz anders aussehen.«
    Obwohl der Fahrkartenverkäufer auch nichts anderes gesagt hatte, hörte es sich aus meinem Mund falsch an, so als hätte ich eben eine ernstzunehmende Diagnose bekommen und behauptet, es könnte sich genauso gut nur um einen Schnupfen handeln.
    »Wow«, sagte Ahimsa mit einem feinen Lächeln. »Das Universum. Es wirft dich auf dich selbst zurück.«
    Alle Achtung. Dieser Mann hatte tatsächlich ein Talent, Frauen mit ihrer Wut in Kontakt zu bringen. Bei mir hatte er es jedenfalls auf Anhieb geschafft.
    »Das Karma ist ein Bumerang«, gab jetzt auch Bärbel ihren Senf dazu. »Was wir losschicken, kehrt zu uns zurück.«
    Nun, Ahimsa mochte Talent haben, aber seine spirituelle Gefährtin war noch begabter. Hatte die ein Glück, dass ich gerade keinen Bumerang zur Hand hatte. Den hätte ich ihr am liebsten auf ihren Hennakopf gedonnert.
    »Dem Universum ist es piepegal, ob ich um sieben Uhr morgens oder um sieben Uhr abends von dieser Insel hier runterkomme«, pampte ich die beiden an, griff dann meinen Koffer und rollte weiter zum Zimmer Nummer hundertzwo.
    Ich öffnete die Tür und war im ersten Moment erleichtert. Von Ann war nichts zu sehen. Wenigstens mit ihr musste ich keine Gespräche darüber führen, was das Universum mit mir vorhatte. Und am Nachmittag würde ich einfach wieder still und leise verschwinden.
    Als ich meinen Koffer öffnete und den Kulturbeutel herausnahm, hörte ich plötzlich ein Geräusch aus dem Bad. Gleich darauf noch mal dasselbe, dann die Klospülung. Und begriff, dass es durchaus Schlimmeres geben konnte als eine Begegnung mit Ann im Schlafzimmer.
    Nämlich eine Begegnung mit Ann im Bad, während sie würgend über der Kloschüssel hing.
    Das konnte ja wohl nicht wahr sein. Gestern Abend Gespräche über Abführmittel und Darmreinigung, heute Morgen der Mageninhalt meiner Zimmergenossin. Jetzt verstand ich wenigstens, warum die Frau so geschnarcht hatte.

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