Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
Vom Netzwerk:
sein.«
    Hatte der eine Ahnung. Ich hatte überhaupt keine Zeit, wenigs tens nicht, solange ich nicht von dieser verdammten Insel heruntergekommen war.
    »Ja«, sagte ich genervt, »das macht dann wie viel?«
    Wieder stierte er mich wortlos an, dann nahm er einen Schluck aus einem dampfenden, bauchigen Becher, der mit Bildern von Seglerknoten bedruckt war. Ich wollte schon meine Frage wiederholen, vielleicht war der arme Kerl ja schwerhörig. Aber da kam er mir dann doch zuvor.
    »Min Deern«, sagte er gedehnt, »nu kiek mal da röwer. Wat siehst du?«
    Und er machte eine sparsame Kopfbewegung in Richtung der hochgeklappten Brücken.
    »Eine Schülergruppe«, sagte ich.
    »Jou. Und sonst so?«
    »Nichts«, sagte ich verständnislos.
    Er nickte dafür umso verständnisvoller. »Jou«, sagte er. »Nix.«
    Langsam ahnte ich etwas. »Verspätung?«, fragte ich betont sachlich.
    Um seine Mundwinkel zuckte es, es fehlte nicht viel, und er hätte sich zu einem Lächeln hinreißen lassen. Aber einen solchen Heiterkeitsausbruch verkniff er sich dann lieber doch.
    »Sturm«, sagte er, »da geht goanix.«
    »Und wann …«, versuchte ich es matt.
    »Komm man so gegen fünf wieder«, sagte er. »Aber versprechen kann ich nichts.« Dann zog er einfach das Sichtfenster zu.
    Aber ich war schneller und legte meine Hand dazwischen. Wenn er nicht meine Finger einquetschen wollte, musste er wenigstens mit mir reden.
    »Siebzehn Uhr? Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Haben Sie eine Ahnung, wie dringend ich hier wegmuss?«, empörte ich mich.
    Wieder fixierte er mich mit diesem Anflug von Lächeln und schob das Fenster gnädig ein Stück weiter auf.
    »Lehrerin, nä?«, fragte er nach einer Weile.
    Ich schüttelte unwirsch den Kopf. »Woran merkt man das denn?«
    Nun lächelte er wirklich. Und wirklich spöttisch. »Hast so ’n autoritären Zug um den Mund«, sagte er.
    Es nützte nichts. Auf diese Tour kam ich hier nicht weiter. Aber weiterkommen, wegkommen, das musste ich unbedingt. Zur Not mit einem Schlauchboot vom Küstenschutz. Konnte doch nicht sein, dass wir hier eingeschlossen waren, nur wegen dieses bisschen auffrischenden Windes!
    Ich verlegte mich aufs Flehen.
    »Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben, für Notfälle!«, rief ich weinerlich.
    Er zog fragend die Augenbrauen hoch und antwortete nichts. Ich ging näher an das Sichtfenster, so nahe, dass ich beinahe mit dem Kinn gegen seine Barthaare stieß. Sie rochen leicht fettig.
    »Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?«, machte ich den nächs ten Vorstoß. »Haben Sie Kinder?«
    Nun lachte er schallend auf. Nicht das, was ich erwartet hatte.
    »Bin ich des Wahnsinns?«, prustete er.
    Mist. Von dieser Seite war also auch nichts zu erwarten. Keine Elternsolidarität.
    Jetzt gab es nur noch eine einzige Möglichkeit. Ich fingerte in der Innentasche meiner Jacke herum, bis ich mein Handy gefunden hatte. Mit ungeübten Fingern tastete ich darauf herum, bis ich den Ordner mit den Fotos gefunden hatte, dann wischte ich, bis ich auf das Foto stieß, das ihn weich kochen würde. Ronja im letzten Sommerurlaub, in einem weißen Bademantel am Strand: das junge, glatte Gesicht, die ganze Gestalt, wie sie sich da im Liegestuhl fläzte mit diesem unglaublichen Charme, den nur ein Mädchen ausstrahlt, das hübsch ist und es selbst noch nicht ganz glauben kann. Ich hob das Handy gegen ihn wie eine Waffe und rammte ihm das Foto beinahe ins Gesicht. Er wich ein paar Zentimeter zurück, dann schnalzte er anerkennend mit der Zunge.
    »Also«, sagte ich und fühlte, wie meine Stimme zu zittern begann, »meine Tochter … ja, die ist sechzehn. Und wenn ich sie nicht davon abhalte, dann fährt sie …«
    Ja, war ich des Wahnsinns? Ich würde doch diesem Spanner von der Reederei- und Fährgesellschaft westliches Nordfriesland nichts von den Playboy-Plänen meiner Tochter erzählen. Schon dass ich sie ihm im Bademantel zeigte, war äußerst grenzwertig. Aber immerhin für einen guten Zweck. Ich versuchte es noch einmal.
    »Können Sie sich das eigentlich vorstellen«, fragte ich, »wie leicht man sich sein ganzes Leben kaputt machen kann, in dem Alter? Meine Tochter ist im Begriff, eine Riesendummheit zu begehen. Und ich, ich muss sie schützen. Vor sich selbst. Das ist doch mein Job! Ich bin doch ihre Mutter!«
    Ich konnte nicht mehr weiterreden. Meine Sorge um Ronja, die letzte Nacht, die innerliche Anspannung, all das brach sich in einem Schwall von Tränen Bahn, und ich sah mir

Weitere Kostenlose Bücher