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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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Sie hatte wohl mit wem auch immer ein kleines, total anti-ayurvedisches Gelage im Dorfkrug veranstaltet und war kurz vor mir sturzbetrunken ins Bett gefallen. Dass sie sich nicht schämte, in ihrem Alter!
    Im nächsten Augenblick wankte sie aus dem Bad. Sie sah blass aus, Schweißtropfen hingen zwischen ihren Augenbrauen. Nur die Sommersprossen auf ihrer Nase hatten ihre ursprüngliche Farbe behalten und wirkten wie aufgemalt. Als sie mich sah, lächelte sie gequält. Ich lächelte nicht zurück.
    »Na«, sagte ich, »waren wir gestern noch ein bisschen feiern?«
    Sie knipste ihr Lächeln aus. Dann deutete sie auf den Kulturbeutel in meiner Hand.
    »Na«, gab sie schneidend zurück, »haben wir gestern ein Auswärtsspiel gehabt?«
    Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen. Dann spürte ich, wie mir das Blut in die Schläfen stieg. Da stand ich, rot wie ein Teenager, und wusste nicht, wo ich hinschauen sollte. Schließlich blieb mein Blick auf dem grünen Schamhaargestrüpp der Frau auf Anns Gemälde hängen.
    »Du willst mir doch nicht unterstellen, ich hätte …«
    »Ich unterstell gar nichts«, unterbrach sie mich, »aber dann unterstell du mir bitte auch nichts.«
    »Ich war um Mitternacht hier! Das hast du nur nicht mitbekommen, weil du laut schnarchend …«
    »Ist cool.« Sie hob abwehrend die Hände. »Ich bin nicht deine Mami. Aber du bist auch nicht meine. Okay?«
    Wir schwiegen. Schließlich trat sie ans Fenster, stützte sich mit den Händen ab und starrte hinaus.
    »Komisch, die Bäume da«, sagte sie schließlich.
    »Wieso, was ist mit denen?«, fragte ich vorsichtig. So, wie sie da am Fenster stand und hin und her kippelte, machte sie einen leicht irren Eindruck auf mich.
    »Dass die alle gleich wachsen. Alle gleich schief.«
    »Das macht der Wind«, gab ich zurück. »Kommt immer aus der gleichen Richtung.«
    »Aber ist das nicht verrückt?« Sie stieß beim Kippeln an die hölzernen Möwenaufstellerchen auf dem Fensterbrett. »Ich meine, Wind, das ist nichts anderes als Luft. Durchsichtig, kann man nicht anfassen und so. Und trotzdem kann die so etwas bewirken.«
    Ich warf einen Blick auf die roten Digitalziffern des Radio weckers auf dem Nachttisch.
    »Zeit zum Frühstücken«, sagte ich versöhnlich.
    Jetzt lächelte sie wieder gequält. »O nein«, sagte sie und stöhnte. »Der Tag fängt ja gut an.«
    Wir waren die Ersten, die an unserem Gruppentisch im Speisesaal Platz nahmen. Als die Kellnerin kam, beschloss ich, mir ein klei nes Extra zu gönnen. Das hatte ich schließlich verdient. Immerhin war ich nach schlaflosen sechs Stunden schon wieder wach gewesen, und einen Gewaltmarsch bei neun Beaufort oder mehr hatte ich auch hinter mir.
    »Milchkaffee«, sagte ich, »so groß, wie’s geht.«
    Die Kellnerin hielt ihren Stift unbewegt über ihrem Blöckchen und sah mich über den Rand des Papiers hinweg an.
    »Sind Sie nicht von Wellnesswattweiblichkeit?«, fragte sie.
    »Ja«, gab ich unvorsichtig zu und schob dann argwöhnisch hinterher: »Wer will das wissen?«
    »Dann bekommen Sie ayurvedisches Spezialfrühstück«, sagte die Kellnerin, nickte und notierte mit einem sadistischen Glimmen in den Augen etwas auf einem Zettel.
    »Was soll das sein? Tee ohne alles?«
    »Nein. Tee gibt es erst später.«
    Ich begann zu grübeln, was sie mit dieser bedrohlichen Bemerkung meinte, und warf einen Seitenblick zu dem langen Tisch, an dem die Rentnergruppe von gestern Abend frühstückte. Die trabten mit wurstbeladenen Tellern vom Büfett zurück, und über der Gruppe hing eine herrlich duftende Kaffeewolke. Zum ersten Mal im Leben wünschte ich mir, deutlich älter zu sein. Fünfzehn Jahre mehr, und ich hätte mich unauffällig ins beigefarbene Getümmel mischen können. Sogar den dünnen Hotel-Filterkaffee hätte ich genommen.
    Nach kurzer Zeit kam die Kellnerin wieder. Auf einem Tablett brachte sie eine Karaffe mit einer durchsichtigen Flüssigkeit sowie Gläser für mich und Ann.
    »So«, sagte sie und stellte Karaffe und Gläser vor uns hin, »Ihr Rosmarinwasser.«
    »Aber das haben wir doch gar nicht bestellt!«
    »Anweisung von der Chefin. Die WWW-Frauen bekommen Tee erst nach zwölf Uhr mittags. Den ayurvedischen Frühstücksbrei finden Sie auf dem Büfett ganz links.«
    »Und was ist da drin?«
    »Irgendetwas mit Datteln und Ingwer. Müsste ich in der Küche fragen.«
    Entmutigt schenkte ich mir eine Tasse lauwarmes Wasser mit Kräutergeschmack ein. Ich fühlte mich plötzlich sehr kraftlos, so

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