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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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»Keine Chance. Ich hol mir doch nicht den Tod!«
    »Ja«, sagte Jan, »eine Wanderung bei dem Wetter ist natürlich eine echte Challenge. Aber wie unsere liebe Frau Schleibinger, ich meine, Lisi, gestern Abend schon gesagt hat: Es geht hier auch um das Austesten von Grenzen.«
    »Wir sind ja nicht aus Zucker«, pflichtete Geli ihm munter bei.
    »Aber auch nicht im Dschungelcamp«, versuchte Hans-Gerd einen Witz.
    Ich musste jetzt irgendetwas tun. Laut schreien oder mir ein paar Haare ausreißen zum Beispiel, aber das war nun mal nicht mein Stil. Stattdessen stand ich einfach wortlos auf. Augenblicklich standen auch die Schätze auf. Schließlich Ahimsa und Bärbel. Das musste an meiner natürlichen Autorität als Studienrätin liegen.
    Es war eine seltsame Truppe, das hätte wohl jeder von uns unterschrieben. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Wir standen uns gegenüber wie zwei fremde Eingeborenenstämme: auf der einen Seite die Schätze und ich, in nordseeschlammfarbenen Hosen mit passenden Jacken, knöchelhohen Schuhen und Fleecepullovern. Neben uns wasserfeste Rucksäcke, auf denen Dinge standen wie »Explore the Wild« und »Into the Unknown«, als wären wir auf dem Weg zu den letzten Kopfgeldjägern Borneos. Auf der anderen Seite Bärbel und Ahimsa in pludrigen Gewändern mit selbstgestrickten Jacken darüber und Bergsteigerstiefeln aus dem Secondhandshop.
    Und dann war da noch Pippi Langstrumpf-Kunterbunt, die als Einzige sitzen geblieben war und sich noch immer in dem Ohrensessel fläzte, als ginge sie das alles nichts an.
    Sie streckte ihre langen Beine von sich und schlug sie lässig an den Knöcheln übereinander, sodass dieser völlig unpassende Rock noch ein Stück nach oben rutschte. Es war völlig klar, warum sie jetzt diese Stiefel trug. Nicht, weil sie dann ihre zarten Bohemien-Füßchen nicht mit Schlamm besudeln musste. Sondern weil die dazugehörigen Beine so kleinmädchenhaft schmal aussahen in diesen knallfarbenen Kinderschuhen. Irgendwann hob sie schlaf wandlerisch die Hand.
    Und Jan hatte doch tatsächlich nichts Besseres zu tun, als danach zu greifen, um sie hochzuziehen. Wie ein Hündchen, das gar nicht anders kann, als nach dem hingeworfenen Knochen zu schnappen.
    Jetzt, auf den zweiten Blick, fand ich gar nicht mehr, dass er so besonders gut aussah. Okay, die Unterlippe war sehr sexy. Aber ansonsten? Blaue Augen hatten schließlich fast fünfzig Prozent aller Männer. Und neigten Blonde nicht generell zu früherem Haarausfall?
    Jan hielt meiner Zimmergenossin noch immer die Hand hin, aber ehe sie aufstehen konnte, klingelte ihr Handy. Sie ließ Jan wieder los und fingerte in ihrem nietenbesetzten und garantiert nicht wasserdichten Gürteltäschchen danach.
    »Heyyy!«, rief sie in das Gerät, in ihrer üblichen, überdrehten Art, als hätte das Wort mindestens sieben Ypsilon. Dann begann sie zu plaudern, in aller Seelenruhe, als würden nicht gerade rings um sie her Menschen darauf warten, dass es losging.
    »Nee, alles fein … na wenigstens fast … Es gibt … ach nein, das erzähl ich dir lieber in Ruhe, wenn ich wieder in Hamburg bin«, sagte sie und wickelte sich dabei eine ihrer verfilzten Haarsträhnen um den Zeigefinger. »Ja, natürlich kannst du mir noch gratulieren, ist ja noch nicht so lange … wie, ob ich mich jetzt alt fühle, machst du Witze? Party, ja, gibt schon noch eine, aber dazu muss ich mich erst mal ein bisschen ordnen, ich bin … ja, wie gesagt, mehr dann später … ich ruf dich an!«
    Dann steckte sie das Telefon wieder ein und lächelte mit schiefgelegtem Kopf in die Runde. So als wollte sie sagen: Ich bin doch nur ein kleines Mädchen, ihr wisst schon, dass ihr mir nichts übel nehmen könnt, oder?
    »Hast du Geburtstag gehabt?«, fragte ich mäßig interessiert.
    Sie nickte und machte ein komisch-unglückliches Gesicht dazu.
    »Ja. Letzte Woche. Die große böse Vier.«
    »???«
    Sie streckte Jan wieder ihre Hand hin, und wieder griff er danach.
    »Ich bin vierzig geworden«, sagte sie.

11
    Ich brauchte eine Weile, um diese Nachricht zu verdauen. Dass Ann so alt sein sollte wie ich, so, wie sie aussah und sich benahm, machte mich fertig. Mit Berufsjugendlichen dieser Art hatte ich sonst nie zu tun. In unserem Teil von Hamburg gab es die nicht.
    Auf dem Weg zum Strand war ich mit meiner stummen Verblüffung die perfekte Gesprächspartnerin für Geli Schatz: Ich sagte nichts, und sie konnte mich in aller Ruhe – wie hätte das Ronja genannt? Genau:

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