Friesenherz
bohrte peinlich berührt einen Zeigefinger in ihren Oberschenkel.
»Keine Ahnung. War noch nicht beim Arzt.«
Angestrengt starrte sie auf den Tisch.
»Ich sag mal, es ist nicht gerade eine geplante Schwangerschaft.«
Ich nickte ihr ermunternd zu.
»Ich war da … na, in den letzten Jahren bin ich da ein bisschen sorglos gewesen. Und nie ist was passiert. Nicht mal mit dem Typen, mit dem ich zuletzt ein halbes Jahr zusammen war. Nicht, dass wir es drauf angelegt hätten, aber ich dachte, wenn’s so sein soll, dann soll’s so sein. Danach war ich dann mit dem Thema durch. Ich dachte mir, das passiert eh nicht mehr. In meinem Alter.«
»Und jetzt ist es doch passiert.«
»Ja.« Sie lachte freudlos auf. »Schöne Scheiße.«
»Und? Ich meine, du wirst es doch bekommen – oder?«
Ann sah mich lange an. Dann wackelte sie auf eine beinahe indische Art mit dem Kopf, als wüsste sie nicht, ob sie den Kopf schütteln oder nicken sollte.
»Als ich den Test gemacht hab letzte Woche, da war ich mir ganz sicher: Das muss weg, das passt überhaupt nicht in mein Leben, das Thema ist längst abgehakt. Aber dann kam mir diese Woche hier dazwischen, die konnte ich nicht absagen, weil sie ganz gut Kohle bringt wegen der Auftritte, und plötzlich bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich meine, wenn ich’s denn wirklich wissen will – so eine Chance kommt nicht noch mal.«
»Nicht in deinem Alter«, sagte ich, und wir mussten beide lachen.
»Yolo«, sagte sie und grinste, »Yolo, Alter.«
»Wer ist Yolo?«, fragte ich. »Dein Kerl?«
Schon wieder brach sie in dieses hysterische, hormongesteuerte Lachen aus. »Yolo, so sagt man doch«, erklärte sie schließlich. »You only live once – man lebt nur einmal.«
Wieder sagten wir eine ganze Weile nichts.
»Aber der Typ, also, der Vater?«, fragte ich vorsichtig nach. »Ich meine, der weiß doch Bescheid, oder?«
Sie sah mich unergründlich an, holte tief Luft und stieß sie wieder aus. Es sah aus, als würde sie zu einem langen und schwierigen Satz ansetzen. Da war doch noch etwas, das sie mir sagen wollte, ich spürte es ganz deutlich. Aber vielleicht bekämpfte sie auch nur wieder einen Anfall von Übelkeit.
»Ich meine, ihr seid ja wohl wieder zusammen?«, tastete ich mich vor. Ich wollte nicht zu indiskret werden. Schließlich kannten wir uns ja eigentlich kaum. Auch wenn wir seit Tagen Tisch und Bett teilten.
»Was?« Sie schüttelte den Kopf. »Ach so, den meinst du. Meinen Ex. Nee, von dem bin ich ja getrennt.«
»Und dann habt ihr noch mal …«
Sie pickte mit dem Zeigefinger nach losen Zuckerkrümeln auf der Tischplatte und seufzte. »Nein. Ja. Na ja, so ähnlich.«
Sie nahm einen Schluck von ihrem Tee, verzog angewidert das Gesicht und stellte das Glas wieder auf der Untertasse ab.
»Weißt du, was ich gerne hätte?«, sagte ich schließlich.
»Du wirst es mir gleich verraten.«
»Ein Bier. Aus der Flasche. So wie früher.«
»Und weißt du, worauf ich Bock hätte?« Ann sah mich an, als wäre sie mir sehr dankbar für den Themenwechsel. War ja auch verständlich. Es war sicher nicht leicht für sie.
»Na?«, fragte ich aufmunternd.
»So ein richtig geiles Krabbenbrötchen mit Mayonnaise.« Sie streckte die Arme über den Kopf, bis die Gelenke knackten.
Ich schüttelte den Kopf. »Das lässt du schön bleiben. Viel zu gefährlich, wegen der Toxoplasmose-Keime.«
»Toxo… wie? «
»Infektionskrankheit, für Erwachsene harmlos, kann aber schwere Schädigungen bei Ungeborenen hervorrufen«, dozierte ich.
»In echt?« Ann sah mich zweifelnd an. »Ich dachte, es reicht erst mal, wenn man das Rauchen und Saufen lässt.«
Plötzlich hatte ich eine Idee. Das heißt, es war eigentlich keine Idee, mehr eine Eingebung. Als stände plötzlich mein jüngeres Ich vor mir, zappelig vor Energie, streckte mir die Hand hin und zöge mich aus meinem Musterpolstersessel hoch.
Mit einem entschlossenen Ruck stand ich auf. »Apropos Saufen«, sagte ich, »wir besorgen dir jetzt erst mal was zu essen. Und mir noch ein Bier.«
»Du meinst, wir …«
»Genau. Wir bedienen uns einfach selbst. Man darf halt im Leben nicht immer brav darauf warten, bis man an der Reihe ist.«
Natürlich hatte ich Herzklopfen, ein leicht unbehagliches Gefühl im Magen, aber gleichzeitig war ich immer kurz vor dem Kichern. So hatte ich mich zuletzt als Kind gefühlt, wenn ich aus dem obersten Küchenschrank meiner Oma Schokolade stibitzte, während Oma schnarchend Mittagsschlaf hielt. Das
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