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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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ganz offensichtlich, dass er ein schlechtes Gewissen hatte. Warum sonst hätte er so demonstrativ meine Nähe gesucht? Warum warf er mir diese Seitenblicke zu?
    Ich hatte nun schon meine dritte unfreiwillige Nacht auf der Insel verbracht, und allmählich nahm ich die Bemerkungen übers Wetter nicht mehr ernst. Nicht, wenn sie von meinem guten Kumpel im Fahrkartenhäuschen kamen, und schon gar nicht, wenn sie aus dem sexy Mund dieses Dampfbad-Verräters kamen. Nach meinem Gefühl blies der Wind noch immer unverändert, und dass Jan uns trotzdem schon wieder in den Matsch führte, fand ich eine Frechheit. Vor allem, weil wir uns wegen des Sturms wieder ganz in der Nähe der Küste aufhalten mussten. Allmählich kannte ich jeden Seeregenpfeifer und jede Pfahlmuschel hier beim Vornamen.
    Grau hing das Licht über dem Horizont, das Watt sah aus wie flüssiger Beton, und es schien, als hätten alle Blei in den Gliedern und schwere Gedanken im Kopf. Den Leuchtturm von Süderhörn hatten wir schon ein erhebliches Stück hinter uns gelassen. Irgend wo weit draußen lag Hallig Hooge, und ich fragte mich, ob die Schnaps vorräte schon zur Neige gingen. Vor meinen Füßen brachte sich eine Strandkrabbe in Sicherheit, weiter draußen trippelten ein paar Austernfischer auf ihren roten langen Beinen und pickten konzentriert nach ihrem Frühstück.
    Noch einmal zog Jan scharf Luft ein. »Ich wollte …«
    »Hast du dir eigentlich …«, begann ich im selben Moment.
    Weil wir gleichzeitig angefangen hatten zu sprechen, hörten wir auch gleichzeitig wieder auf. Er sah mich an, amüsiert, aber auch verunsichert.
    » Was wolltest du?«, fragte ich.
    » Was hab ich eigentlich?«, fragte er.
    »Nein. Du zuerst.«
    »Von wegen. Du hast angefangen.«
    »Ist auch egal.«
    »Genau. Nicht so wichtig.«
    Wieder tappten wir nebeneinanderher. Wieder schwieg ich, aber ich hatte den Eindruck, mein Schweigen hatte etwas an Wirkung verloren. Vorausgesetzt, er hatte es vorher überhaupt als solches erkannt.
    So ging das nicht weiter. Er mochte noch ein halbes Kind sein, aber auch mit einem halben Kind konnte man sich manchmal unterhalten wie mit einem erwachsenen Menschen. Ich würde ihm jetzt ganz klar sagen …
    Aber was eigentlich?
    Dass es mich brennend interessierte, wie er unter seiner Allwetterjacke und seiner atmungsaktiven Hose aussah?
    Dass ich seit siebzehn Jahren mit demselben Mann schlief? Und dass ich währenddessen gelegentlich darüber nachdachte, ob wir nicht irgendwann mal diese spießige Hecke um unser Grundstück austauschen sollten?
    Dass Jan mir nie wieder unter die Augen zu kommen brauchte, nachdem er sich mit Pippi Langstrumpf im Dampfbad geaalt hatte?
    Oder dass völlig egal war, was er mir zu sagen hatte, weil ich nach drei Nächten unter dem Schamhaargestrüppgemälde hoffent lich heute endlich wegkommen würde von dieser Insel, auf der jeder jeden kannte und sich alle miteinander benahmen wie eine Kindergartengruppe?
    »Sag mal, Maike?«
    Ich fuhr wieder herum.
    »Ja?«
    »Darf ich dich mal was Persönliches fragen?«
    Ich spürte, wie mein Herzschlag auf die Überholspur ging. Was kam denn jetzt?
    »Mit diesen erotischen Fotos … also, das würde mich mal interessieren. Wo man so was machen lassen kann. Ich meine, also, geschmackvoll.«
    Mein Herz raste immer noch auf der Überholspur, während in meinem Kopf gerade eine Synapsen-Massenkarambolage stattfand. Erotische Fotos? Was sollte das denn jetzt? Er war doch im Café früher aufgebrochen als wir anderen. Woher wusste er …
    Und dann verstand ich. So lief hier also der Hase! Jan hatte nicht den Anflug eines schlechten Gewissens. Er hatte nur meine Nähe gesucht, weil er mich ausfragen wollte. Nicht etwa nach meinen innersten Wünschen und Sehnsüchten. Sondern nach meiner Tochter. Und wer konnte ihm davon erzählt haben? Da kam natürlich nur eine infrage. Unsere liebe Ann. Hatte sie also meine mütterlichen, höchst privaten Sorgen einfach weiterge plaudert. Im heißen Dampf. Halb nackt. Oder womöglich sogar ganz.
    Ich holte tief Luft. Und noch ein bisschen tiefer. Bis es irgendwann nicht mehr ging. So viel Luft, wie ich brauchen würde, um ihm die Abreibung zu verpassen, die er verdient hatte, so viel konnte ich in meinen zwei Lungenflügeln gar nicht unterbringen.
    Aber ich kam ohnehin nicht dazu. Denn in dem Moment ertönte von weiter hinten ein schriller Schrei. Wir drehten uns um. Im gleichen Moment saß Ann schon auf dem Boden, den Po im Schlick, und hielt

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