Friesenherz
mit beiden Händen einen Fuß umfasst.
Was fiel die denn ständig um?
Jan ließ mich stehen und eilte zu ihr. »Was ist passiert?«, fragte er.
»Hab mir den Fuß geschnitten!«, jammerte sie. »Shit, das tut sauweh!« Geschieht dir recht, dachte ich böse. Was musste sie auch so prätentiös auf nackten Füßen durchs Watt latschen, bei den Temperaturen.
Jan reichte ihr eine Hand und zog sie hoch. Sie stand auf einem Bein wie ein Storch, das andere angezogen, und starrte auf den Boden. Aus dem dunklen Sand ragte etwas auf, das aussah wie ein kaputter Teller.
»Sieht so aus, als wärst du schon wieder der Frau mit dem roten Rock in die Quere gekommen«, sagte Jan, bückte sich und zog an dem Ding, bis er eine große grüne Keramikscherbe in den Händen hielt.
»Wie kommt das denn hierher?«, fragte Bärbel.
»Hausstand«, sagte Jan, »ich hab doch erzählt, dass hier früher Festland war, mit Siedlungen. Man findet immer wieder mal was im Watt.«
Eigentlich hätte ich nicht übel Lust gehabt, Ann da einfach sitzen zu lassen. Alte Petze. Aber so war ich nun mal: Ich konnte nicht mit ansehen, wenn es jemandem nicht gut ging.
Also zog ich meinen Rucksack von den Schultern und begann, nach einem Pflaster zu kramen. Ganz sicher war ich nicht, ob ich eines dabeihatte. Normalerweise war Torge auf Reisen für die Hausapotheke verantwortlich. Aber schließlich fand ich das wasserdichte Etui mit dem roten Kreuz darauf und hielt es Ann wortlos hin.
Ann nahm es ebenso wort- und danklos entgegen und öffnete es stumm. Dann fischte sie ein einzelnes Pflaster heraus und hielt es ins Licht. Die abziehbaren Plastikstreifen und die Folie waren gelb, darauf war Pu der Bär gedruckt, der mit der Pfote in einem Honigtopf feststeckte. Wie kam das denn da hin? Ich hatte gar nicht gewusst, dass noch welche übrig waren von den Kinder-Trostpflastern, auf denen Ronja früher immer bestanden hatte.
Ann zog spöttisch die Augenbrauen zusammen, sagte aber noch immer nichts. Dann klebte sie sich den verfressenen Bären auf die Fußsohle, wobei sie sich mit dem Rücken gegen Jan lehnte, mit einer Selbstverständlichkeit, die mich erschütterte. Schließlich hob sie den Kopf und sah mir in die Augen.
»Maike und ihr Wunderrucksack«, sagte sie, »was wären wir ohne dich?«
»Wieso, was stimmt mit meinem Rucksack nicht?«
»Mit deinem Rucksack stimmt alles«, sagte Ann langsam. »Ich find’s nur so … so abgefahren. Frauen wie du.«
»Frauen wie ich? Was willst du damit sagen?«
Ann reichte mir das Etui zurück und setzte vorsichtig den Fuß auf.
»Na, Frauen wie du. So seid ihr. Immer ausgerüstet für alle Eventualitäten. Immer alles dabei, vom Trostpflaster bis zum Kaugummi gegen Reiseübelkeit. Damit auch bloß nichts Unvorhergesehenes passiert, das euch aus dem Konzept bringt.«
Jetzt reichte es mir. Nicht nur, dass sie seelenruhig meine Familiengeschichten an Jan ausplauderte, sie machte sich auch noch darüber lustig, wenn ich ihr half.
»Ganz genau«, gab ich schneidend zurück, »und weißt du auch, warum? Weil Frauen wie du es sich so verdammt bequem machen. Nur weil Frauen wie ich weiterdenken, weil wir Pflaster einpacken und Steuern zahlen und morgens unseren Kindern die Wäsche rauslegen, können Frauen wie du und deinesgleichen euch überhaupt euer Bohemeleben leisten. Wird schon eine da sein, die für euch in die Sozialkasse einzahlt. Oder ein Pflaster aus ihrem Rucksack zaubert, wenn ihr euch wehtut.«
Ich war gerade dabei, mich so richtig in Fahrt zu reden, als auf einmal etwas mit Ann geschah. Erst wurde sie aschfahl und stützte sich auf Jans Arm. Dann glänzten plötzlich Schweißperlen auf ihrer Stirn. Und schließlich beugte sie sich vornüber und kotzte zwischen die geringelten Häufchen der Wattwürmer.
Meine Wut verflog augenblicklich. Jetzt tat sie mir doch wieder leid. Offensichtlich war sie wirklich krank. So viel schlechtes Karma konnte unmöglich in der ewig gleichen Bohnensuppe und den grob geschroteten Körnern stecken.
Mit einem angeekelten Schrei sprang Jan zurück, und Ann wäre fast wieder gestürzt, wenn ich nicht schnell einen Schritt in ihre Richtung gemacht und nach ihrer Schulter gegriffen hätte. Schwer atmend blieb sie stehen und lächelte mich schließlich zag haft an, als wollte sie mich stumm um Verzeihung bitten. Ihr Atem roch säuerlich.
Die anderen standen in respektvoller Entfernung und schauten, als wären sie gerade in einem besonders intensiven Zwei-Personen-Stück
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