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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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wahr«, sagte sie lässig, »wir sind doch hier unter Erwachsenen.«
    Während ich mit dem ersten Knöchel aus der Hose schlüpfte, musste ich mich für einen Moment an der Bettkante festhalten. Es war, als sähe ich mir selbst von außen zu, aus großer Höhe, einer nicht mehr ganz jungen Frau, die sich zurechtmachte für ein Treffen, das eine ganze Welt verändern konnte, ob man wollte oder nicht, weil der Startschuss schon gefallen war. Weil die Kanonenkugel bereits auf ihrer vorbestimmten Bahn losgesaust war.
    Wenige Minuten später stand ich vor dem großen Garderobenspiegel an der Zimmertür und sah darin eine Frau, die mir entfernt ähnlich vorkam, die aber nicht ich war. Niemals und unter keinen Umständen.
    Die Frau hatte eine Kurzhaarfrisur, genau wie ich, aber sie sah damit nicht aus wie eine Lehrerin, die seit Jahren das Gleiche von ihrem Friseur verlangt. Sondern eher wie eine leicht verruchte französische Bibliothekarin, die es schon mal hinter den hohen Bücherregalen mit ihren Lieblingskunden trieb. Der Rest des Kör pers sah mir nur noch entfernt ähnlich: lange schlanke Beine, oberhalb des Knies von einem roten Minirock verhüllt, dazu ein graues Shirt mit Fledermausärmeln, von dem Ann beteuert hatte, dass es auch noch warm hielt. Mittlerweile war es mir egal, ich befürchtete vieles, aber dass ich frieren würde an diesem Abend, das war meine geringste Sorge.
    »Wie du aussiehst«, sagte Ann zufrieden.
    »Nicht wie ich selbst«, sagte ich.
    »O doch«, sagte Ann, »ich glaube schon.«
    Plötzlich fiel mir noch etwas ein.
    »Und Schuhe?«, fragte ich.
    »Kaufen wir noch. Wenn wir nachher den Termin im Dorf haben«, sagte Ann.
    »Wir?«, fragte ich. »Seit wann denn …«
    »Na, hör mal.« Ann funkelte mich finster an. »Du wirst mich ja wohl nicht im Stich lassen, wenn es darauf ankommt.«
    »Okay, okay.« Ich machte eine beschwichtigende Geste. »Aber jetzt würde ich mich gerne noch mal in mich selbst zurückver wandeln.«
    »Klar«, sagte Ann trocken. »Wenn du meinst, das geht.«
    Um kurz vor fünf waren wir die einzigen Frauen im Wartezimmer der örtlichen Frauenarztpraxis. Auf dem Fensterbrett lagen ein paar gelbe Flyer mit den Terminen der örtlichen Stillgruppe, daneben standen vier Holzmöwen, zwei große und zwei kleine, die Schnäbel alle in Richtung Westen ausgerichtet. Auch sie waren natürlich eng verwandt mit denen aus unserem Hotel.
    »Schau dir die an«, sagte Ann und versank noch ein bisschen tiefer in ihrem blauen Rattansessel. »So gehört sich das.«
    »Ja«, sagte ich, »hier sorgt die Sprechstundenhilfe noch für Ordnung.«
    »Das meine ich nicht.« Ann rutschte nervös hin und her. »Ich meine: Das ist eine Familie. So muss das aussehen, Mama, Papa, zwei Kinder.«
    »Du bist aber übelst spießig!«, schimpfte ich, und wir mussten beide lachen, beide mit einem leicht hysterischen Unterton. Ich wunderte mich. Vorhin hatte sie mir noch leichthin ihr seltsames Kommunen- und Teilzeitvatermodell erläutert, jetzt hörte sie sich auf einmal an wie eine CSU-Kreistagsabgeordnete.
    »Wusste gar nicht, dass es schon so früh anfängt«, sagte Ann, streckte ihre Arme und ließ ihre Gelenke knacken. »Mit dem Spießigwerden, meine ich.«
    »So früh? Du bist vierzig Jahre alt!«
    »Ja. Aber erst in der sechsten Woche schwanger.«
    »Das geht schneller, als du denkst«, sagte ich, »eben noch den Test in der Hand, und schon wollen sie zum erotischen Fotoshooting.«
    Ann ruckelte mit ihrem Po hin und her, dann hakte sie einen Daumen in den Bund ihres Rockes.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie, »kann das sein, dass ich dicker geworden bin, jetzt schon?«
    »Das sind höchstens Blähungen«, sagte ich, »von der guten Mungbohnensuppe.«
    Ann schüttelte den Kopf.
    »Nee, irgendwie werden meine Sachen schon knapp.«
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte ich, »ich habe genügend Stretch hosen dabei. Ich kann dir was leihen.«
    Eine Arzthelferin mit einem beeindruckenden rötlich schimmernden Haarhelm streckte ihren Kopf zur Tür hinein.
    »Frau Falk dann bitte einmal ins Labor.«
    »Wieso ins Labor?«, fragte Ann in meine Richtung, so als sei ich die ausgewiesene Expertin in allen medizinischen Fragen zur Schwangerschaft. Im Gegensatz zu ihr war ich das wohl auch.
    »Na, das Übliche«, sagte ich, »Gewicht, Blutdruck, Urin …«
    »Wie?« Ann knibbelte an einem spitzen Hölzchen, das aus der Lehne des Rattansessels herausragte. »Das alles wollen die von mir wissen?«
    »Entspann dich«, sagte

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