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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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durch. Ich war bereit.
    »Ist dir irgendwie übel?«, fragte Jan besorgt.
    Stumm nahm ich ihm die beiden Kaffeebecher aus der Hand und stellte sie auf dem Grabstein des unglücklichen Ehemannes ab, der vermutlich unter falschem Namen ausgewandert war.
    Dann nahm ich Jan einfach in die Arme.
    Einen winzigen Moment lang wich er zurück, taumelte ein bisschen, als hätte er damit überhaupt nicht gerechnet, und ich fühlte, wie irgendwo im Inneren meines Körpers etwas anbrandete, ein Tsunami aus Scham und Peinlichkeit. Dabei blickte er sich verstohlen nach links und rechts um, als hätte er Angst, jemand könnte uns beobachten. Aber im nächsten Augenblick schon hielt er sich wieder aufrecht, und nun sah er mich an, noch immer überrascht, aber sichtbar angenehm. Unsere Münder näher ten sich einander an, als wären sie ein Tanzpaar, das seine Choreo grafie im Schlaf beherrschte. Jetzt musste ich nur noch die Augen schließen. Den Rest würde er schon übernehmen.
    Und das tat er. Er schnappte nach meinen Lippen, meiner Zunge, auf eine Art, dass ich verdammt dankbar war, dass er mich dabei noch aufrecht hielt. Sonst hätte ich für nichts garantieren können.
    Für einen winzigen Moment dachte ich an Torge, dachte, dass jetzt ganz definitiv der Zeitpunkt gekommen war, an dem er nicht mehr alles hätte mit ansehen dürfen, was ich tat, aber als ich eben anfangen wollte, mich zu schämen, ging in meinem Kopf ein schwerer rot samtener Vorhang runter, und alles klang wie von sehr weit weg. Sowohl das, was in meinem Kopf war, als auch das, was draußen war, weil Jans Zunge weiter unten in meinem Mund langsam alles auszulöschen begann, das sich noch an rationalen Gedanken in meinem Hirn bewegte.
    Wir küssten uns. Und küssten uns. Und küssten uns. Dann sah er mich an.
    »Du willst also gar nicht mehr weglaufen?«, fragte er leise.
    »O doch«, sagte ich. »Mehr denn je.«
    Und dann küssten wir uns wieder.

19
    »Nein«, sagte Ann kopfschüttelnd, »nein, nein und nochmals nein. Vor allem dieses Teil da.«
    Sie deutete angewidert auf den dunkelblauen Fleecepullover auf meinem Bett. »Darin kannst du deinen Garten umgraben«, sagte sie, »oder mit deinem Gatten auf dem Tandem durch die Pampa pflügen. Aber zu einem Date? No fucking way!«
    »Aber wir treffen uns am Strand! Es ist Anfang November! Da kann ich ja wohl kaum im spitzenbesetzten Negligé auftauchen, oder?«
    »Wieso überhaupt am Strand? Abends?« Ann wippte leicht auf dem Bett, bis es zu quietschen begann.
    Ich sah sie verunsichert an. »Ist das irgendwie – komisch? Ich habe keine Ahnung! Ich hatte seit fast zwanzig Jahren kein solches Rendezvous mehr. Außerdem hat er gesagt, er will mir was zeigen.«
    »Ja.« Ann gluckste. »Ich kann mir denken, was.«
    Ich war froh über die trübe Zimmerbeleuchtung, denn ich spürte, wie ich rot anlief.
    Ich blickte zweifelnd auf den traurigen Kleiderhaufen auf meiner Bettseite. Nichts als atmungsaktive, kälteundurchlässige, schlammfarbene Teile, mit denen ich problemlos im Alleingang den Nordpol hätte erobern können, die aber nicht unbedingt Lust machten, mich zu erobern.
    »Ich hab nun mal nichts anderes«, sagte ich trotzig und griff nach einer beigebraunen Jacke mit Norwegermuster aus echter schottischer Schafwolle in Bioqualität.
    Ann sah mich von der Seite an, mit einem schwer zu deutenden Blick. Abschätzig? Oder einfach nur konzentriert?
    »Du«, sagte sie schließlich, »ich wollte dich mal was fragen.«
    Ich schlüpfte in die Jackenärmel und musterte mich im Spiegel an der Schranktür. Das Gegenteil von sexy. Ich sah darin aus wie ein Schaf. Nicht mal wie ein echtes, sondern die Art von gestricktem Kuschelschaf, die man auf Boldsum sonntags auf dem Friesenmarkt kaufen konnte.
    »Wo soll ich anfangen?«, sagte Ann. »Ich hab mir nur überlegt … also, diese Ehe, die du da führst … ich meine, taugt die was?«
    Wütend funkelte ich sie an. Warum musste sie denn jetzt ausgerechnet den Stachel in mein Fleisch rammen und noch zweimal umdrehen, wo ich mich so erfolgreich gegen die Gedanken an Torge wehrte? Gegen die Gedanken an seine Hand auf meinem Bauch. Oder an diese kleine Schachtel, die er auf unseren Reisen in seinem Rucksack hatte und in der alles war, was ich gern vergaß und immer brauchte. Die Pflaster, natürlich, sortiert nach Blasen- und Wundpflastern. Aber auch eine Kopfschmerztablette und ein paar Beutel von meiner Lieblingsteemischung.
    »Versteh das nicht falsch«, warf Ann eilig ein, »es

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