Friesenherz
»Vielleicht kann man euer Problem ja austanzen«, schlug sie vorsichtig vor.
Bärbel lachte trocken auf. »Tolle Idee«, sagte sie sarkastisch, »solo funktioniert das überhaupt am allerbesten. Dann habe ich wenigstens keinen mehr, der mir auf die Füße tritt.«
Ich musste daran denken, wie Torge mich damals gefragt hatte. Sein Heiratsantrag. Romantisch? Auch eher nicht.
Es war an einem Mittwochvormittag gewesen, nach einem Termin beim Frauenarzt. Das Baby in meinem Bauch war gerade mal ein paar Zentimeter groß, gerade so, dass ich die ersten Ho senknöpfe nicht mehr schließen konnte. Danach saßen wir an der Kaffeebar einer Studentenbuchhandlung, und plötzlich legte Torge seine Hand auf meine und sah mich an mit einem Blick, als hätte er soeben etwas ausgefressen. Hatte er ja auch, gewissermaßen.
»Also jetzt, wo ich Papa werde«, stammelte er, »ich meine, wo du Mama wirst … aber auch ich natürlich …«
Dann verlor er den Faden, schüttelte unwillig den Kopf und setzte neu an. »Also, ich hab mir überlegt, Plätzsch ist kein so rich tig toller Nachname für ein Baby. Wenn man das später immer buchstabieren muss, das nervt doch voll.«
Plätzsch war mein Mädchenname, aber der Groschen fiel noch immer nicht. »Ich finde meinen Nachnamen auch nicht so toll«, sagte ich.
»Ronja oder Ben«, sagte er und sah mich eindringlich an. »Ronja Johannsen.«
Und endlich, endlich machte es klick.
»Maike Johannsen«, sagte ich, vorsichtig, als würde ich ein nagel neues Kleid aus einer knisternden Verpackung nehmen und zum ersten Mal anprobieren.
Er nickte, eifrig und so erleichtert, wie nur ein Sechsundzwanzigjähriger sein konnte, der es soeben geschafft hatte, seiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen. Ohne das H-Wort dabei aus zusprechen. Ein paar Wochen später waren wir Mann und Frau. Meine feministischen Freundinnen hatten es mir damals sehr übel genommen, dass ich seinen Nachnamen annahm. Aber die mussten ja auch nicht mehrmals täglich »Plätzsch« buchstabieren. Für mich war der neue Nachname ein sehr angenehmes Hochzeitsgeschenk.
Dr. Sidhoo legte jetzt ihre beiden Hände seitlich an Bärbels Kopf. »Da ist jetzt ganz viel Gefühl und Energie«, sagte Dr. Sidhoo, »möchtest du mit mir daran arbeiten?«
Bärbel befreite sich aus ihrem Griff und fuhr herum. Giftig fun kelte sie Dr. Sidhoo an.
»Wer hat mir denn den ganzen Scheiß eingebrockt? Hä?« Nun war Bärbel nicht mehr zu halten. »Ohne dein blödes Seminar wäre ich doch überhaupt nie auf die Idee gekommen!«
Dr. Sidhoo machte eine anmutige Bewegung, als schöbe sie etwas weit von sich weg.
»Das steckt in deinem eigenen System«, sagte sie ungerührt, »das lasse ich ganz bei dir.«
Allmählich machte das Gespräch mich nervös. So leid Bärbel mir tat, ein Beziehungsdrama in meiner Nähe konnte ich gerade überhaupt nicht gebrauchen. Nicht, wo alles so leicht geschienen hatte, we nigstens in den rauschhaften Stunden gestern. Wo es sich angefühlt hatte, als könnte ich alles haben und müsste nichts dafür hergeben. Wenigstens, solange ich auf dieser Insel hier war.
Auch wenn ich es natürlich besser wusste. Auch wenn mir schon lange klar war, welche Preisschilder an manchen Dingen im Leben hafteten. Preisschilder mit astronomischen Summen, die nie reduziert wurden, eher im Gegenteil.
Unauffällig tastete ich in meinem Rucksack neben der Matte nach meinem Telefon. Wenigstens mal nachschauen, ob ich mittlerweile eine Nachricht von Jan hatte. Oder einen neuen Anruf von Torge? Nein, der wollte sich ja erst später melden.
Ich ertastete meine Brieftasche, einen Lippenpflegestift, ein Son nenbrillenetui und eine dicke Broschüre vom Meeressäugerforum Wattemar, direkt an der A7, 1. Preis in der Kategorie »Nachhaltiger Tourismus«.
Ein Handy ertastete ich nicht.
Nun öffnete ich meinen Rucksack ganz und begann ungeniert, darin herumzukramen. Auf einmal waren alle Augen auf mich gerichtet.
»Wir sind hier gerade in einem intensiven Prozess«, sagte Dr. Sidhoo und blickte nun gar nicht mehr so buddhistisch amüsiert drein, »ich finde es nicht angemessen, dass du hier störst.«
Leise stand ich auf, machte eine entschuldigende Geste, ergriff meinen Rucksack und verließ den Raum. Jetzt hatte ich ohnehin keine Ruhe mehr. Auch wenn Bärbel soeben die Liebe ihres Lebens verloren hatte – ich hatte offensichtlich mein Telefon verloren, mit allen Familienfotos, Adressen, beruflichen Terminen. Meine schnellste Verbindung zu
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