Friesenherz
auch gleich in ihre Wohnung gefolgt. Um mal zu sehen, wie die Eingeborenen so leben.«
Torge starrte stumm in den Sand, als müsste dort wie auf einem Teleprompter seine nächste Dialogzeile erscheinen. Ich blickte auf den Betonklotz. Dann sah ich, dass auf dem Bohlenweg durch die Dünen eine Frau lief. Im ersten Moment war ich mir nicht ganz sicher, aber als sie näher kam, erkannte ich sie.
Ann trug Gummistiefel mit Wollsocken zum Rock, ein Stück ihrer nackten Beine war zu sehen, und ich ertappte mich bei dem Gedanken, wie sie jemals ein Baby richtig anziehen wollte, nicht zu warm und nicht zu kalt. Schließlich versagte sie schon vor ihrem eigenen Kleiderschrank, mit diesen Januarsocken zum Julirock. Einen Moment überlegte ich, ob ich mich einfach im Strandkorb zurücklehnen und so tun sollte, als hätte ich sie nicht gesehen. Aber es war zwecklos. So war das eben mit kleinen Inseln: Alle gequälten Seelen kamen zum Spazierengehen und Nachdenken an den gleichen Strand.
Sie steuerte langsam auf uns zu, blieb zwischendurch stehen, als wäre sie unschlüssig, ob sie nicht doch lieber wieder umkehren sollte, und wartete dann schließlich in ein paar Meter Entfernung. Alle drei sahen wir uns an. Schließlich stand Torge auf.
»Bitte«, sagte er, »ich fänd’s gut, wenn du dich zu uns setzt.« Dabei bot er ihr seinen Platz an.
Ich starrte ihn entsetzt an. Mit meinem untreuen Ehemann in einem winzigen Strandkorb zu sitzen war mir schon zu eng gewesen. Aber neben Ann auf dem leise furzenden Plastikbezug – das ging nun wirklich zu weit.
Aber sie kam mir zuvor.
»Nee«, sagte sie, »mach dir keine Umstände. Hier draußen fühl ich mich wohler.« Dann ließ sie sich anmutig vor dem Korb in den Schneidersitz sinken. Mit dem einen Arm umschlang sie ihre Beine, die andere Hand vergrub sie in ihren Rastalocken. Sie kauerte da wie ein kleiner Hund oder wie eine rebellische Teenagertochter. Eine rebellische Teenagertochter, die Strandkörbe einfach übelst langweilig fand.
Torge setzte sich wieder neben mich. »Gut, dass du kommst«, sagte er zu Ann. »Es ist wichtig, dass wir drei miteinander besprechen, was jetzt passiert. Und in Zukunft.«
Sie lächelte dankbar, und ich fühlte, wie die Wut in mir hoch kochte. Diesen verständnisvollen Sozialpädagogen-Ton konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen. Immerhin hatte die Frau sich einen verheirateten Mann gekrallt und ihn abgeschleppt.
Und das sicher nicht ohne Hintergedanken.
»Das mit deiner Schwangerschaft«, zischte ich kühl in ihre Richtung, »das war ja wohl kein Zufall, oder?«
»Was?« Ann sah mich kuhäugig an. Sie nahm die Hand aus den Haaren und ließ ein Häufchen Sand durch ihre Finger rinnen.
»Jetzt tu doch nicht so«, sagte ich böse. »Das kannst du mir nicht erzählen, dass du es nicht drauf angelegt hast. Das liest man doch immer wieder: Frauen wie du, Torschlusspanik, und dann krallen sie sich irgendeinen Kerl und lassen sich ein Kind machen. Und ihre voll emanzipierten Freundinnen bestärken sie auch noch darin und erzählen ihr, dass sie eine starke Frau ist und keinen Mann braucht, um ein Baby großzuziehen. Als wenn das so einfach wäre.«
Torge setzte an, etwas zu sagen, aber ich schüttelte den Kopf.
»Du bist jetzt mal ganz still«, sagte ich. »Das will ich nämlich von Ann hören.«
Ann blickte verwundert in ihre leeren Hände, als könnte sie überhaupt nicht verstehen, wo der Sand gelandet war. Dann schüt telte sie in Zeitlupe den Kopf.
»Wie kommst du denn auf diese irre Idee?«, fragte sie. »Weißt du überhaupt, wie ich lebe? Kannst du dir vorstellen, dass da nichts weniger reinpasst als ein Baby?«
»Aber dein WG-Zimmer ist doch eigentlich ganz schön«, warf Torge schüchtern ein, und sie fuhr ihm über den Mund.
»Und weißt du auch, wer das zahlt? Mein Vater! Mein Vater gibt mir jeden Monat Geld dazu, weil ich von meiner Kunst nicht leben kann. Bis vor ein paar Jahren ging das noch ganz gut, es gibt ja eine ganze Menge an Stipendien für Nachwuchskünstler, da war ich ständig unterwegs, in irgendwelchen niedersächsischen Dörfern oder auf der Schwäbischen Alb, und habe gemalt und dann in der örtlichen Sparkasse ausgestellt. Ab und zu hat auch mal jemand gewagt, was zu kaufen. Meistens Lehrerinnen, die mir erzählt haben, dass meine Kunst so stark und selbstbestimmt ist. Aber mit fünfunddreißig ist Schluss mit lustig. Da hört es auf mit der Förderung.«
Ich überlegte, ob ich auf die Bemerkung mit den
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