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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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uns hierhergeführt hatte.
    Einen Moment lang sah er mir in die Augen, dann senkte er den Blick wieder.
    »Na ja, sie ist ein ganz anderer Typ als du, klar. Das war mehr so was in ihren Augen. So etwas wie Abenteuerlust. Reiselust. So warst du auch mal. Als ich dich das erste Mal sah.«
    »Ann reist aber gar nicht gern«, gab ich giftig zurück.
    Torge zuckte die Schultern. »Es war ein seltsamer Abend, als ich sie kennengelernt habe. Eine seltsame Umgebung. Diese Kunst galerie im Souterrain, wo das Bier in einer Badewanne hinter einem Paravent stand und die Leute alle enge Hosen und riesige Wollmützen trugen. Eine ganz verrückte Ausstellung war das, mit versiegelten leeren Flaschen, auf deren Etiketten die Namen von Fla schengeistern standen. Mit Echtheitszertifikat. Unsere Praktikantin bei ›Wind and Sun‹ kannte den Künstler, sie hat dort Geburtstag gefeiert und uns alle auf ein Bier eingeladen.«
    Also doch. Es war der Praktikantinnengeburtstag gewesen, Ende September. Das erklärte nachträglich vieles. Nicht nur, wie Torge überhaupt in diesem Szeneviertel gelandet war, in dem er sonst nie etwas zu schaffen hatte. Vor allem, warum Torge auf dem Sofa geschlafen hatte an diesem Abend vor einigen Wochen.
    Hätte ich Verdacht schöpfen müssen? Spätestens, als er freiwillig selbst das Sonntagsfrühstück richtete am nächsten Morgen? Ich hatte seine Erklärung akzeptiert, hatte mich sogar gefreut über seine Rücksicht. Dass es sehr spät geworden sei gestern Abend, dass er mich nicht habe stören wollen in meinem leichten Schlaf. Vielleicht wäre es mir seltsam vorgekommen, wenn Torge zum allerersten Mal in unserem gemeinsamen Leben nicht zu mir ins Bett geschlüpft wäre. Aber das war auch früher schon gelegentlich vorgekommen.
    Fragte sich, was früher noch so vorgekommen war. Gelegentlich oder öfter.
    Immerhin: Torge hatte die Finger von der Praktikantin gelassen. Einer Praktikantin, von der ich nichts wusste, außer, dass sie etwa so alt sein musste wie Jan.
    »Ich wusste gar nicht, dass es solche Orte noch gibt, im Schan zenviertel«, sagte Torge im Plauderton. »Das ist doch sonst so schick geworden. Aber diese Galerie, die war richtig Underground.«
    Ich musste mich beherrschen, nicht zu lachen. So, wie Torge »Underground« sagte, erinnerte er mich plötzlich enorm an meine verstorbene Großmutter, die sich manchmal meine Lieblingsplatten vorspielen ließ, früher, als ich ein Teenager war. »Super Musik«, hatte sie dann manchmal gesagt, und man merkte ihr an, dass sie sich mit diesem Modewort aus den Siebzigern ähnlich unwohl fühlte wie in einer Nietenjacke mit dem Anarchie-A hintendrauf.
    »Es war komisch«, sagte er, »ich hab mich da wie in einem frem den Land gefühlt, aber nicht unwohl. Als gäbe mir die ungewohnte Umgebung die Freiheit, auf einmal ein völlig anderer zu sein. Und dann kommt da plötzlich diese Frau auf mich zu und stellt mir komische Fragen nach meinem Bart.«
    Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Nach deinem Bart? «
    »Ja. Ann hat auf mein Kinn gedeutet und mich gefragt, ob das ein unironischer Bart ist. Ich habe überhaupt nicht verstanden, wovon die redet. Da hat sie mir erklärt, dass diese Szene-Typen um mich her um ihre Bärte als ironische Geste tragen. Wie hat sie das genannt? Genau: als gebrochenes Zitat von Bürgerlichkeit. Und dass ich so aussähe, als würde ich meinen Bart vollkommen ernst meinen.«
    »Ich dachte, du lässt dir den stehen, weil du Pickel vom Rasieren bekommst?«, fragte ich.
    »Siehst du«, nickte Torge bekräftigend, »wir verstehen uns eben.« Er versuchte, eine Hand auf meine Schulter zu legen. Ich entwand mich seinem Griff und rückte ein Stück zur Seite.
    »Klar«, sagte ich. »Und weil wir uns so fantastisch verstehen, dachtest du: Zeit, mit einer anderen Frau zu schlafen.«
    Er zuckte unglücklich die Schultern. »Das ist doch so wie bei einer Urlaubsliebe«, sagte er dann, »da geht es auch nicht darum, jemanden zu finden, der einen versteht. Da zieht es einen doch auch eher zu Menschen hin, die völlig anders sind.«
    »Kennst dich wohl aus mit Urlaubsflirts, was?«, gab ich scharf zurück. Er wandte den Blick ab, und ich zuckte innerlich zusam men. Ich dachte an Jans grünes Computerspielmonster. Noch hatte ich keine Ahnung, ob und wie ich Torge meinen eigenen Seitensprung beichten sollte. Und ob ich das überhaupt wollte. Anders gefragt: Musste ich?
    »Und aus rein touristischem Interesse«, fuhr ich fort, »bist du ihr dann

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