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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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geht’s noch?«, fragte sie bissig. »Ich löse gerade den größten Teil deines Problems für dich.«
    »Das ist nicht mein Problem! « Torges Stimme überschlug sich fast. »Das ist verdammt noch mal auch mein Kind! Nicht nur deines!«
    Gleich. Gleich würde er den Satz mit dem Holzspielzeug sagen. Oder kam der Heiratsantrag zuerst?
    Ein Gefühl der Unwirklichkeit erfasste mich. Es war, als käme eine Karussellfahrt in diesem Moment an ihr Ende, eine Karussellfahrt, die so beschaulich gewesen war, dass ich völlig verges sen hatte, dass der Motor irgendwann zum Halten kommen würde. Runde für Runde die gleichen Gesichter um uns herum, die gleichen drei Lieder in Endlosschleife, und nun war es auf einmal zu Ende. Torge und ich würden aus dem kleinen blauen Oldtimer aussteigen, und dann würde Torge gemeinsam mit Ann in das kleine rote Feuerwehrauto einsteigen, für die nächste Runde. Und ich?
    Plötzlich wusste ich es ganz genau. Ich würde mir ein schneidiges Fahrzeug nehmen, ein Motorrad oder ein Cabrio, und eine herrliche Solorunde drehen. Und noch eine und noch eine.
    Auf einmal schien mir nichts verlockender als das. Ich würde einfach alles hinter mir lassen. Meine Beete mit den englischen Rosen und dem Bio-Basilikum, mein halbes Deputat und die gräss liche Kaffeemaschine im Lehrerzimmer mit dem bitteren Teufelsgebräu. Ich würde einfach neu beginnen! Mir ein Kleid kaufen und vor Sonnenaufgang in Klubs auf dem Kiez tanzen, ganz egal, ob sich eine Horde von Kunststudenten darüber beömmelte. Ich war frei! War es nicht ohnehin Zeit, auch beruflich etwas Neues zu wagen? War ich nicht Mutter einer fast erwachsenen Tochter, die ohnehin mehr und mehr ihrer eigenen Wege ging? Der perfekte Zeitpunkt für ein neues Leben!
    Und überhaupt, wer sprach von Hamburg? Konnte es nicht auch New York sein? Oder, noch lieber: Sevilla? Wer brauchte einen sexy Mitstudenten und seine WG? Ich war erwachsen! Ich konnte mir eine ganze Wohnung für mich alleine leisten, über den Dächern der Altstadt, wo es nach Orangen und gebratenem Fisch roch.
    Währenddessen würde Torge nachts gerädert durch irgendein Wohnzimmer bummeln, in Volksdorf oder im Schanzenviertel, und einem brüllenden Bündel auf den Armen den »Hamborger Veermaster« vorsingen, sechs Strophen. Weil plattdeutsche Shantys schon bei Ronja das einzige Mittel gegen alles gewesen waren, gegen Unruhe und Koliken und all diese unaussprechlichen Ängs te neugeborener Babys, die Erwachsene nicht einmal erahnen konnten.
    Nein, ich beneidete weder ihn noch sie.
    Torge stand noch immer vor Ann, seinen Blick auf ihren Bauch gerichtet, und bekam von alldem gar nichts mit. Wahrscheinlich sah man es mir auch nicht an, dass ich im Geiste bereits an einem Vertrag über die Ausbezahlung gemeinsam erworbenen Wohn eigentums saß. Und auf der Suche war nach einem Kleid, mit dem ich in andalusischen Flamencobars alle Blicke auf mich ziehen würde.
    »Weißt du«, sagte Torge eindringlich zu Ann, »das ist es eben, was mich von den Kerlen unterscheidet, mit denen du sonst zu tun hast. Ich mache meine Fehler, weiß Gott. Aber ich bin erwachsen genug, zu ihnen zu stehen.«
    »Aber wie stellst du dir das vor«, fragte Ann, »ganz konkret? Wir als Eltern? Wir kennen uns doch kaum!«
    Torge blickte zwischen Ann und mir hin und her, als könnte er sich nicht entscheiden, an wen er seine nächsten Worte richten sollte. Sein Blick irrte hin und her wie der eines Redners, der vor einer unübersichtlichen Menge steht. Dann lehnte er sich vorsichtig an den Strandkorb.
    »Als ich acht Jahre alt war«, begann er schließlich, »da hat mein Vater meine Mutter verlassen. Ist einfach von einer Geschäftsreise nicht zurückgekommen und tauchte nur noch an den Wochenenden bei uns auf, bei meiner kleinen Schwester und mir. Keiner hat je so richtig mit uns darüber geredet. In den ersten Monaten kam oft Besuch, Freundinnen meiner Mutter und andere weibliche Verwandte, und die saßen dann immer im Wohnzimmer, und meine Mutter schluchzte, und meine Schwester und ich stan den an der Tür und lauschten, und immer wieder fielen in den geflüsterten Gesprächen die gleichen Worte. ›Typisch Mann.‹ Da habe ich mir geschworen, dass aus mir kein typischer Mann werden soll. Nie. Dass ich meine Kinder nicht im Stich lassen würde, dass ich Verantwortung übernehmen würde für alles, was ich tue. Vielleicht hätte ich es damals nicht so formulieren können, aber der Gedanke war ganz deutlich.«
    »Torge?«
    Er

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