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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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völlig vergessen, dass Torge und ich da waren.
    »Aber haben sie uns das nicht auch immer erzählt?«, fragte sie. »Ich meine, so war es doch, als wir jung waren. Unsere Eltern, unsere Lehrer, sie haben uns ständig erzählt, dass wir alle Chancen haben, alle Möglichkeiten, alle Freiheiten. Dass wir Weltreisen machen können oder eine Tischlerlehre, dass wir Kunst studieren können oder ein Nagelstudio eröffnen, Kinder bekommen oder nicht oder irgendwann später. Und das klingt alles so verdammt verheißungsvoll, so vielversprechend, dass wir uns nicht festlegen müssen und ausprobieren können und immer wieder neu anfangen. Immer haben sie uns das Gefühl gegeben, was Besonderes zu sein. Dreimal hab ich einen neuen Studiengang angefangen und wieder abgebrochen. Alles, was mein Vater dazu gesagt hat, war: Hauptsache, es stimmt für dich. Damals fand ich das super. Heute habe ich langsam das Gefühl, er war nur zu faul, sich mit mir auseinanderzusetzen. Und hatte genügend Geld, um es nicht tun zu müssen.«
    Ich schnaubte verächtlich. »Das nennt man ein Luxusproblem. Meine Eltern hätten mir was gehustet, wenn ich mich immer wieder umentschieden hätte. Die haben nicht mal verstanden, warum ich zum Studium in eine andere Stadt wollte. Bis ich meiner Mutter erzählt habe, dass sie aus meinem alten Kinderzimmer ein Bügelzimmer machen kann. Mit dem Argument habe ich sie überzeugt.«
    Ann schüttelte traurig den Kopf. »Manchmal wünschte ich mir, meine Eltern hätten auch mehr Druck gemacht. Ich weiß nicht, ob die Freiheit mir so gut bekommen ist. Denn irgendwann, so ab Mitte, Ende dreißig, da wird es auf einmal nur noch anstrengend. Dieses ständige Sich-neu-Erfinden. Da wird aus dem ›Du kannst alles tun, was du willst‹ plötzlich ein Befehl: ›Du musst alles tun, was du tun könntest.‹ Und weil man bei der ganzen Anstrengung auch noch total gelassen und entspannt sein soll, bucht man dann für teures Geld ein spirituelles Wellnesswochenende an der Nordsee.«
    »Ich hab das nicht gebucht«, grollte ich. »Ich hab’s geschenkt bekommen.«
    »Ja«, sagte Ann. »Weil du es dringend nötig hast.«
    »Ich denke eher, Torge hatte es dringend nötig«, sagte ich giftig. »Damit er endlich mal in Ruhe über unsere Beziehung nachden ken konnte. Vielleicht hat er auch gedacht, er kann dich in der Zeit ungestört wiedertreffen. Weil du so unglaublich cool bist und immer weitertanzt, während ich mir längst die praktischen Schuhe angezogen habe.«
    »Das ist ja das Problem«, seufzte Ann und sah mich an, als wäre ich leicht begriffsstutzig. »Ich tanze vielleicht noch immer, aber es werden immer weniger, die mittanzen. Weil sich irgendwann doch die meisten in die Bürgerlichkeit verabschieden, und dann sieht man sie nur noch am Sonntagvormittag, wie sie mit ihrem Bugaboo-Kinderwagen den Bürgersteig in der Susannenstraße ver sperren und Litschi-Bionade trinken und nostalgisch an ihre wilden Zeiten denken.«
    »Ich dachte, Litschi-Bionade trinken nur Emos?«, fragte Torge interessiert.
    Ich lachte bitter. »Nee. Ich glaube, die trinken auch schwangere Schanzen-Bewohnerinnen.«
    Ann reagierte nicht auf meine Bemerkung. Sie legte nur die Hände ins Kreuz und streckte den Bauch vor, so als wollte sie schon einmal die typische Körperhaltung der nächsten Monate einüben. Dann machte sie den Rücken wieder gerade und malte mit ihrer Gummistiefelspitze einen langen Strich in den Sand.
    »Im Grunde müssen wir auch gar nicht weiterreden«, sagte sie schließlich leise, »also, vielleicht ihr beiden miteinander, aber nicht mit mir. Ich hab heute Morgen schon in der Praxis in Ham burg angerufen, gleich am Montag hab ich einen Termin, und dann geht das sicher ganz schnell. Ich hab ja nicht mehr so viel Zeit.«
    Ich ließ den Satz für einen Moment sacken und wunderte mich, dass ich nicht erleichtert war. Wenigstens nicht nur. Natürlich war es die beste Lösung. Aber trotz allem: Ich konnte nicht vergessen, wie ich auf dem Ultraschallmonitor das Herzchen hatte schlagen sehen.
    Doch das war alles nichts gegen die Reaktion meines Mannes. Auch Torge schien nicht erleichtert zu sein. Sogar im Gegenteil.
    »Nein!« Er sprang auf und legte Ann seine Hände an die Oberarme. Dabei schüttelte er vehement den Kopf. Sie wich verdattert einen Schritt zurück und wäre beinahe gestolpert. »Nein, das kannst du nicht machen! Auf gar keinen Fall!«
    Ann fing sich wieder und blickte Torge mit zusammengekniffenen Augen an.
    »Sag mal,

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