Friesenherz
unterbrach mich unwirsch. Bei seiner familiären Power point-Präsentation wollte er sich jetzt ungern ablenken lassen.
»Das Gute an dieser Lösung wäre, sie gilt nicht nur für die ersten Lebensmonate«, fuhr er fort. »Denn Freitag ist ein guter Tag für Aktivitäten, ich meine, Zeit für Vater und Kind. Meines Wissens gibt es da verschiedene Babyschwimmkurse im St.-Pauli-Bad, das könnte ich dann regelmäßig unternehmen.«
»Können Babys denn schwimmen?«, fragte Ann.
Torge schüttelte milde lächelnd den Kopf. »Schwimmen nicht«, dozierte er, »aber die Bewegung im warmen Wasser schult die Kör perwahrnehmung, und außerdem erinnert es sie offensichtlich an ihre Zeit im Mutterleib.«
Ann kratzte mit dem Fingernagel an einem Fleck auf ihrem Rock.
»Und Plan B?«, fragte sie schließlich.
Torge sah mich aufmunternd an, so als müsste ich eigentlich von selbst darauf kommen, was er meinte.
»Na, die Einliegerwohnung bei uns zu Hause!«, rief er schließlich enthusiastisch. »Jetzt, wo meine Mutter sich im Pinneberger Seniorenstift eingekauft hat, Wohnen im Alter mit flexibler Pflege stufe, ist der Plan doch vom Tisch! Sie wird die Zimmer nie brauchen! Aber für eine Mutter mit Kind wäre das ja völlig ausreichend. Und wenn das Kind dann irgendwann größer ist, na, dann muss man weitersehen. Ronja wird ja auch nicht ewig in unserem Nest hocken wollen.«
Es verschlug mir buchstäblich die Sprache. Mein Haus. Mein Garten. Meine Küche. Das Zimmer meines Kindes. Das alles ver plante Torge ganz selbstverständlich für seine Gelegenheitsgeliebte. Und für ein Zellhäuflein in ihrem Bauch, das im Ultraschall ausgesehen hatte wie Ronja vor siebzehn Jahren.
Es war eine Sache, wenn ich selbst darüber nachdachte, das Haus zu verkaufen und meine Hälfte der Einnahmen gegen eine Dachwohnung in Sevilla einzutauschen. Und eine völlig andere Sache, wenn Torge einfach so unser familiäres Nest auseinanderrupfte, um Platz zu machen für ein Kuckucksei.
»Och …«, sagte Ann.
Torge zupfte sie aufgeregt am Ärmel. »Was sagst du?«, rief er. »Dann könnte ich dich jederzeit unterstützen! Auch nachts!«
»Du vergisst da, glaube ich, eine Kleinigkeit«, gab Ann trocken zurück.
»Was? Dass ich verheiratet bin?«
»Nein. Das Haus ist in Volksdorf.«
»Na eben.« Torge nickte. »Nähe zum Wald, verkehrsarme Stra ßen, hervorragende Schulen, Gymnasium mit Chinesisch-AG …«
»Öko-Spießer, Biodiesel-Geländewagen, zugedröhnte Teenager und weit und breit nicht mal ’ne Kneipe«, gab Ann ungerührt zurück.
»Kneipe, Kneipe!«, ereiferte sich Torge. »Ich glaube, du machst dir ein bisschen falsche Vorstellungen vom Leben mit einem Kind!«
»Seit wann haben Volksdorfer Teenager Drogenprobleme?«, warf ich ein, verwundert, dass ich offensichtlich meine Sprache wiedergefunden hatte.
Ann kam auf mich zu, lächelte traurig, dann zog sie mich in den Strandkorb, ohne zu fragen. Ich leistete keinen Widerstand. Ihr Oberschenkel berührte meinen. Als ich mich hinsetzte, fuhr mir ein stechender Schmerz in den Fuß.
»Autsch«, schrie ich, ließ mich in das Plastikpolster fallen und fasste an meine Ferse.
»Was ist los?«, fragte Torge irritiert, weil offensichtlich keine seiner beiden Kindsmütter auf seinen ausgetüftelten Vorschlag einging.
»Die Schuhe«, stöhnte ich, »ich hatte neue Schuhe an, und da habe ich mir blutige Blasen gelaufen. Ich merke es erst jetzt wieder.«
»Wieso neue Schuhe?«, fragte Torge und deutete verwundert auf meine alten schwarz-weißen Treter.
»Mein Gott«, sagte ich genervt, »sogar Frauen ab vierzig brauchen noch mal ab und zu ein Paar neue Schuhe.«
»Und mal wieder nichts zum Verbinden dabei.« Er nickte wissend.
»Ich bin nicht so unorganisiert, wie du immer behauptest«, sagte ich wütend, »ich hab bloß neulich mein letztes Pflaster an Ann verschenkt. Weil die sich auch wehgetan hatte.«
Torge öffnete schweigend sein beiges Gürteltäschchen und kramte darin herum. Schon nach kurzer Zeit zog er triumphierend zwei flache Päckchen hervor.
»Ich wusste es«, sagte er, »die hab ich noch von der letzten Rad tour für dich dabei. Möchtest du ein Wund- oder ein Blasen pflaster?«
»Wund«, sagte ich grimmig. »Mit dem Blasenpflaster kommst du in dem Stadium nicht mehr weit.«
Mit zwei raschen Schritten war Torge bei mir, dann ging er in die Knie. Es sah ein bisschen so aus, als wollte er mir einen Antrag machen oder mich kniend um Verzeihung bitten. Aber er zog nur
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