Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
Vom Netzwerk:
stumm meine Socke herunter, schnalzte mitleidig mit der Zunge, als er die aufgeschürfte, blutige Stelle sah, und klebte sie fachkundig ab.
    Aus Anns Richtung drang ein seltsames Geräusch, und als ich den Blick zu ihr wandte, sah ich verblüfft, dass sie weinte.
    »Ich bin so froh«, sagte sie schluchzend, »bei dieser ganzen Scheiße bin ich so froh, dass du da bist, Maike. Ich hab so eine Angst um dich gehabt gestern.«
    Ich sah sie verwundert an, unentschlossen, ob ich genervt sein sollte oder doch ein kleines bisschen gerührt.
    »Und du bist wirklich herumgelaufen und hast mich gesucht?«
    Sie nickte. »Ja. Bis ich dann bei Jan geklingelt habe. Und er mir gesagt hat, dass du vorhin noch bei ihm warst und …«
    Ann unterbrach sich selbst und senkte den Blick. Es war nur ein kleiner Moment der Irritation, aber offensichtlich genug, um Torge aufzufallen. Er stand auf, eine Hand auf sein Knie gestützt, knüllte die beiden Pflasterpapierchen in seiner Faust zusammen und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an.
    »Wer ist Jan?«, fragte er leise.
    »Unser Wattführer!«, rief Ann, im gleichen Moment, in dem ich den Mund aufmachte. Die Worte purzelten einfach so heraus, ich hatte nicht einmal mehr Zeit nachzudenken, ob das klug war.
    »Mein Lover«, sagte ich.
    Torge starrte mich an, als hätte er ein Gespenst gesehen. Ann erhob sich vorsichtig und schlich über den Strand, als müsste sie leise an einem Kind vorbei, das einen leichten Schlaf hatte. Wir sahen ihr beide nach, wie sie in Richtung der Dünen huschte.
    »Stimmt das?«, fragte Torge tonlos. » Mein Geburtstagsgeschenk, und du …?«
    Ich schüttelte leicht den Kopf. »Nein. Das stimmt nicht ganz.«
    »O Gott, Maike. Ich dachte schon …« Er sah mich erleichtert an und breitete seine Arme aus.
    Aber jetzt konnte ich nicht mehr zurück. Nur noch nach vorn.
    »Jan ist nicht mein Lover«, sagte ich. Und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: »Er ist mein Ex-Lover.«

26
    »Denkst du an Arnegger?«, fragte ich und zog den Schal enger um meinen Hals herum. Heute Nacht konnte die Temperatur bis auf den Gefrierpunkt fallen, hatte auf der Wettertafel im Hotel gestanden. Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos warfen ausgefranste Lichtkegel auf den Asphalt. Von ferne hörte ich die Fähre tuten.
    »Arnegger wer?«, fragte Torge und griff fester in die Henkel seiner kleinen Reisetasche.
    »Arnegger. Torge, jetzt tu doch nicht so begriffsstutzig. Unser Steuerberater. Seit 1998.«
    »Ach so. Der Arnegger. Und was ist mit dem?«
    »Hab ich doch gesagt, du sollst dringend noch die Fahrkostenbelege nachreichen fürs letzte Quartal. Denkst du dran?«
    Torge warf mir einen gequälten Blick zu, während er mit mir neben der Landstraße in Richtung Hafen trottete.
    »Ich denke an was ganz anderes«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus.
    Ich tat, als hätte ich seine letzte Bemerkung überhört. Mit aller Gewalt klammerte ich mich an diesen Rettungsring aus Alltagsdingen, brauchte das Gefühl, dass alles wieder so werden würde wie früher. Waren wir nicht quitt? Konnten wir nicht einfach unsere Lehren ziehen und dann weitermachen, mit den Fahrtkostenabrechnungen, den Großeinkäufen, den Tandem-Touren?
    Ich konnte selbst nicht mehr verstehen, was mich da geritten hatte heute Vormittag am Strand. Dieser kurze, wahnsinnige Moment, in dem ich mich in den Klubs der Weltmetropolen tanzen sah, in Klamotten, die mir nicht einmal gestanden hätten, wäre ich fünfundzwanzig gewesen. Blödsinn. Nein, ich wollte einfach nur gemeinsam mit Torge Anlauf nehmen, dieses Schlagloch über springen, diese Fallgrube hinter mich bringen und dort weitermachen, wo wir aufgehört hatten. Vor zwei Tagen ich, vor sechs Wochen er.
    Aber diesen Gefallen tat er mir nicht.
    Torge zog tief die kalte Abendluft ein, blieb stehen und sah mich an. Dann gab er sich einen Ruck.
    »Maike, ich muss es wissen. Wenn ich jemals aus diesem Albtraum aufwachen soll, muss ich wissen, was genau da gelaufen ist. Sonst werde ich mein ganzes Leben lang nie mehr aufhören, mir das vorzustellen. In allen schmutzigen Details, die du mir nicht erzählst.«
    »Ich denke, du solltest die Rechnungen bald raussuchen, du weißt, wie das Finanzamt ist. Dann lassen die unsere Unterlagen wieder drei Monate liegen und brummen uns zum Schluss noch einen Säumniszuschlag auf, obwohl wir fristgerecht abgegeben haben.«
    »Ich meine, was für einen Tag haben wir heute? Freitag? Sechs Tage von mir weg, und du

Weitere Kostenlose Bücher