Friesenrache
vielmehr diese Kälte, welche durch die Räume des Hauses zog und die Haie bei seinen letzten Besuchen zwar verspürt, aber nicht hatte deuten können und die ihn reizte, noch einmal dorthin zurückzukehren. Er wollte mit eigenen Augen sehen, wo sich das Familiendrama, von dem er keinerlei Ahnung gehabt hatte, jahrelang abgespielt hatte, und erhoffte sich, durch die nun andere Sichtweise eventuell neue Spuren zu finden, die sie zum Täter führen würden.
»Aber der Sohn ist doch im Gasthof an der B5 untergebracht, und das Haus ist sicherlich versiegelt«, hielt Tom seinem Vorschlag entgegen.
»Wir können uns doch trotzdem ein wenig umschauen«, beharrte Haie auf seiner Idee und äußerte, er sei sich gar nicht so sicher, dass die Polizei ein amtliches Siegel an der Haustür angebracht hatte.
»Die Spurensicherung war doch fertig mit ihrer Arbeit, soweit ich Thamsen verstanden habe.«
»Siegel hin oder her«, schaltete sich Marlene nun in die Diskussion der beiden ein. »Fakt ist, dass die Wohnung verschlossen sein wird. Hast du etwa vor, da einzusteigen?« Sie drehte sich nun ebenfalls zu dem Freund auf dem Rücksitz um.
Haies Mund umspielte ein spitzbübisches Lächeln. »Warum denn nicht? Immerhin haben wir bereits zwei Mal dazu beigetragen, einen Mordfall im Dorf aufzuklären. Wir sind also eine Art Hilfspolizei.«
»Aber das gibt uns noch lange nicht die Berechtigung, in fremde Häuser einzusteigen«, belehrte Marlene ihn. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, bei den Carstensens einzubrechen.
Doch Haie sah die ganze Angelegenheit weitaus weniger dramatisch. »Was heißt denn hier fremde Leute? Kalli war immerhin ein Schulfreund von mir.«
»Na gut«, lenkte Tom schließlich ein. Ihn reizte die Vorstellung, in dem Haus auf eventuell unentdeckte Spuren zu stoßen, inzwischen mindestens genauso wie den Freund. »Wir können ja mal hinfahren.«
Während der kurzen Fahrt herrschte angespanntes Schweigen. Marlene war ein wenig verärgert, dass die beiden Männer sich wieder durchgesetzt hatten. Sie hielt die unerlaubte Hausdurchsuchung für keine gute Idee. Was, wenn man sie bei dem Einbruch ertappen würde? Wie würden sie dastehen? Hilfeleistung bei der Aufklärung eines Mordfalles war ja gut und schön, aber es musste sich doch alles in einem legalen Rahmen bewegen. Sie ließ ihren Blick über die satten grünen Wiesen schweifen, an denen sie vorbeifuhren, und wurde unweigerlich an den Mord an ihrer Freundin erinnert. Damals hatte sie sich auch nicht immer vorschriftsmäßig verhalten, um Heikes Mörder ausfindig zu machen. Sie hatte sogar bewusst gegen die Anweisungen der Polizei gehandelt. Aber das war schließlich etwas anderes gewesen, verteidig te sie ihr damaliges Verhalten sich selbst gegenüber. Zu jener Zeit war es schließlich um den Mord an ihrer besten Freundin gegangen und nicht um irgendwelche Leute aus dem Dorf. Auch wenn Haie einst mit dem Opfer zur Schule gegangen war; in den letzten Jahren hatten die beiden Männer so gut wie keinen Kontakt gehabt. Da konnte man ihrer Ansicht nach nicht wirklich von einer Freundschaft sprechen. Unter gar keinen Umständen würde sie sich an dieser Aktion beteiligen und riskieren, am Ende noch selbst wie ein Verbrecher dazustehen. Deshalb machte sie auch keinerlei Anstalten, aus dem Wagen zu steigen, nachdem sie den Hof erreicht hatten und Tom den Motor abgestellt hatte.
»Scheint keiner da zu sein«, bemerkte Haie, während sie im Auto saßen und auf das Haus blickten.
»Hm«, bestätigte Tom die Feststellung des Freundes und deutete anschließend auf den hellen Streifen an der Eingangstür kurz oberhalb des Türschlosses.
»Is' aber doch versiegelt«, kommentierte er seinen Fingerzeig, dem Haie einen leicht verkniffenen Blick hatte folgen lassen.
»Also, da könnt ihr auf keinen Fall rein. Das Durchbrechen eines amtlichen Siegels ist strafbar«, reagierte Marlene sofort. Doch die Männer stiegen trotz ihrer Warnung aus dem Auto und schritten gemeinsam auf die Tür zu. Mit wild pochendem Herzen, das zumindest zum Teil auf dem Ärger beruhte, den sie über das ignorante Verhalten der beiden Freunde empfand, verfolgte sie, wie die beiden die wenigen Stufen zum Hauseingang hinaufgingen und sich dann ein wenig herunterbeugten, um das Siegel besser begutachten zu können. Anscheinend sprachen sie auch miteinander, denn Marlene konnte erkennen, wie ihre Lippen sich bewegten und die Unterhaltung durch ein
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