Friesenrache
oder zum ›Plattdeutschen Abend‹ gekommen. Nicht einmal in der Gastwirtschaft hatte man ihn noch getroffen. »Und dabei war er vor der Hochzeit Stammgast bei Max.«
Aber seine Frau habe ihn wohl ziemlich unter der Fuchtel gehabt, wie Haie den ehelichen Zustand beschrieb. Er selbst habe ihn nur hin und wieder im Dorf getroffen, aber viel geredet hatten sie eigentlich nicht miteinander.
»Wahrscheinlich ist er deswegen nach Birthes Tod weggezogen. Was hielt ihn hier schon?« Die beiden nickten bestätigend.
»Habt ihr eigentlich am Wochenende schon etwas vor?«, wechselte er abrupt das Thema. »Wie wäre es mit einem Ausflug nach Föhr?«
Tom und Marlene waren von seinem Vorschlag völlig überrascht, ahnten aber sofort, was Haie im Schilde führte.
»Wohnt Barne zufällig auf Föhr?«
Haie schluckte. War er so leicht zu durchschauen? Oder kannten die beiden ihn einfach nur zu gut?
»Ich dachte, wir könnten uns vielleicht ein nettes Wochenende auf der Insel machen und ganz nebenbei ein bisschen ermitteln.«
Er spürte doch, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Fundort der Leiche und den Maisexperimenten gab. Und zumindest Tom schien gleicher Ansicht.
»Ich hole mal eben den Fahrplan von der ›W.D.R.‹ * .«
* Wyker Dampfschiffs-Reederei
5
Sie hatten sich für die 8.45-Uhr-Fähre entschieden.
Tom hatte am Abend noch telefonisch zwei Zimmer im ›Kurhaus-Hotel‹ reserviert, während Marlene ein paar Sachen zusammenpackte. Haie war nach Hause gefahren, um die Anschrift von Barne herauszusuchen. Anschließend hatte auch er seine kleine Reisetasche gerichtet und war früh ins Bett gegangen.
Tom stoppte den Wagen vor dem Reetdachhaus in der Dorfstraße, in dem Haie seit der Trennung von seiner Frau zur Miete wohnte. Großzügig, wie der Freund nun einmal war, hatte er seiner Frau das gemeinsame Haus überlassen. Es war ihm zwar nicht leichtgefallen, aber er war damals froh gewesen, seine Ruhe zu haben. Vielleicht war es ein Fehler von ihm gewesen, das Feld so sang- und klanglos zu räumen, aber dafür zahlte er zumindest heute aufgrund der Eigentumsüberschreibung keinen Unterhalt an Elke.
»Er wird doch nicht verschlafen haben?« Tom hupte bereits zum zweiten Mal.
»Mensch, du weckst ja die gesamte Nachbarschaft.« Marlene stieg genervt von seinem Hupkonzert aus und lief zum Haus hinauf.
Haie saugte gerade im Wohnzimmer Staub und hatte aufgrund des Höllenlärms, den sein altersschwaches Gerät dabei erzeugte, Toms Signale nicht gehört.
»Wieso saugst du denn, wenn du eh das ganze Wochenende nicht da bist?«
Der Freund grinste, während er die Maschine abstellte.
»Na das ist eine Einstellung. Das hätte ich mal zu Elke sagen sollen«, entgegnete er, nachdem der Staubsauger endlich verstummt war.
Er räumte das Elektrogerät in die Abstellkammer und griff nach seiner Tasche, die im Flur stand.
»Kommen Sie, schöne Frau«, sagte er zu Marlene und hakte sie unter. »Der Kurbetrieb der grünen Insel erwartet uns bereits!«
Thamsen hatte das Telefon aus der Dienststelle auf seinen privaten Anschluss umgeleitet und sich ein paar Akten mit nach Hause genommen. Wie er seiner Mutter versprochen hatte, kümmerte er sich heute pflichtbewusst um die Kinder, das hieß, er arbeitete von zu Hause aus und hatte Timo und Anne ein Video eingelegt. Eigentlich ließ er die beiden nicht allzu viel fernsehen, aber er brauchte ein wenig Ruhe, um die Berichte durchzugehen.
Da kam es ihm gerade recht, dass die beiden, sobald man den Fernseher anschaltete, meist wie gebannt an der Mattscheibe klebten.
Er goss sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich mit den Akten an den runden Küchentisch. Die schwarze Flüssigkeit dampfte aromatisch, er nahm einen Schluck und schlug den Bericht auf, den er nach Ulf Carstensens Befragung angefertigt hatte. Schritt für Schritt ging er noch einmal die Argumente des Sohnes durch, die dieser angeführt hatte, um zu verdeutlichen, was für ein Mensch sein Vater gewesen war.
Zu dem Erbstreit hatte Ulf Carstensen sich auch lang und breit ausgelassen, und als Thamsen die Einzelheiten noch einmal studierte, wurde ihm bewusst, dass Friedhelm Carstensen ein äußerst starkes Motiv gehabt hatte, seinen Bruder umzubringen. Geld war neben Hass, Rache und Liebe schon immer eines der häufigsten Mordmotive gewesen. Zwar hatte er in seiner Laufbahn noch nicht in allzu vielen Mordfällen ermittelt –
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